28. bis 30. Juli
Auf dem Weg nach Estland übernachten wir noch einmal in Tuja und in der kleinen Grenzstadt Ainazi.
In Tuja bestätigt sich erneut, dass das Radfahren in Lettland nicht viel Spaß macht: Nach einigen Kilometern müssen wir auf der geplanten Radtour zu den Klippen von Klintis umkehren, zu spitz sind die Steine auf der Schotterpiste, zu stark das Waschbrettmuster und zu staubig die „Straße“. Also radeln wir nur den Strandweg entlang, der aus festem Lehm und Sand besteht. Ein schöner Weg, der über Tuja immer nah am Meer entlang führt, mit interessanten Häusern. Wieder einmal fällt uns auf, dass man im Baltikum offenbar sehr viel beliebiger bauen darf als in Deutschland: In Stil, Material, Farbe, Dacheindeckung und Größe völlig unterschiedliche Häuser stehen nebeneinander.
Kurz vor der estnischen Grenze übernachten wir in Ainazi auf einem Parkplatz am Waldrand. Auf dem Strandspaziergang zur langen Mole beginnt es heftig zu regnen, so dass wir schnell ins Auto zurückkehren.
Wie so oft kommen auch hier einige PKW beim Dunkelwerden, und wir hören noch lange das Gemurmel etlicher Männer, die sich hier treffen und bis 3 Uhr in der Nacht reden.
Am nächsten Morgen laufen wir noch einmal den Strand entlang, diesmal bis zur Nordmole. Das ist ein 650m langer Steinwall, der weit ins Meer hinaus ragt. Geplant war 1911, die Ladung anlegender Schiffe weit draußen auf der Mole zu löschen und mit der Bahn nach Ainazi zu bringen, doch das Bauprojekt wurde 1915 durch den 1. Weltkrieg noch vor Fertigstellung beendet. Das Schienenbett ist teilweise noch gut zu erkennen.
30. und 31. Juli
Geradewegs geht es nun nach Pärnu weiter, den Grenzübertritt nach Estland bemerken wir kaum – nur die üblichen Verkehrsschilder mit den gültigen Geschwindigkeitsbegrenzungen weisen auf die Grenze hin.
Am Südende von Pärnu parken wir auf einem Wanderparkplatz mit Aussichtsturm direkt an der Ostsee. Bei Ankunft steht der Weg zum Strand teilweise unter Wasser, doch der Parkplatz ist frei. Wind und Regen veranlassen uns, nur einen kurzen Spaziergang zum Strand durch knietiefes Wasser zu machen, um den Kitern zuzusehen.
Nachmittags sitzen wir in unserer Biene, hören dem zunehmenden Wind und dem Prasseln des Regens zu und beobachten die steigenden Wassermassen um uns herum, bis das Auto plötzlich in der Ostsee steht. Nichts wie weg!
Wir übernachten einige Straßen weiter im Vorort von Pärnu auf trockenerem Untergrund, um morgens zum Strandparkplatz zurückzukehren. Das Wasser ist schon wieder größtenteils abgelaufen, die Welt sieht wieder friedlich und freundlich aus.
Wir starten zu einer längeren Radtour, größtenteils auf Asphalt, von Pärnu aus am Fluss Pärnu entlang in einer Runde nach Nordosten und etwas weiter westlich wieder zurück.
Es gibt in Estland durchaus schmale asphaltierte Straßen, die sich zum Radfahren gut eignen – diese enden aber leider fast immer in einer geschotterten Straße. Unsere Runde führt über eine der Hauptausfallstraßen hinaus und auch teilweise wieder über eine Hauptstraße hinein nach Pärnu – glücklicherweise gibt es an diesen viel befahrenen Straßen in städtischen Gebieten meistens Radwege. Der landschaftlich schönste Teil des Weges führt – wie sollte es anders sein – über einen 15 km langen Schotterweg.
Sieht man eine Radfahrerin/ einen Radfahrer mit Helm, handelt es sich mit 98prozentiger Sicherheit um Deutsche. Ebenso verhält es sich mit den Masken gegen die Corona- Ansteckungsgefahr: Das Tragen von Masken wird empfohlen, aber wir haben bisher keine/n Esten/ Estin gesehen, der/ die eine Maske trug.
Auf dem Rückweg trinken wir in Pärnu, einer recht hübschen kleinen Stadt mit riesigen Parkanlagen und einigen schönen Holz- und Steinhäusern, einen Kaffee und genießen die „städtische“ Atmosphäre.
Heute gelingt es uns, auf diesem schönen Strandparkplatz zu bleiben und zu übernachten. Natürlich kommen auch hierhin zum Sonnenuntergang vorwiegend junge Menschen – vor Allem wenn Samstag Abend ist! Einige machen ein paar Schritte Richtung Meer, einige bleiben in ihren Autos sitzen oder steigen bei laufendem Motor aus, rauchen, unterhalten sich und fahren dann wieder weg.
1. bis 7. August
Leider hat sich das große Hoch verflüchtigt, das Wetter ist nun wechselhaft, die Temperaturen pendeln um 20 Grad. Nach dem Großeinkauf fahren wir auf schnellem Wege nach Virtsu, dem Fährhafen, auf die Inseln Muhu und Saaremaa. Wir haben Glück – fast ohne Wartezeit können wir die Fähre befahren, die uns in 25 Minuten nach Muhu bringt. Der Wechsel ist höchst funktional, herunter- und hinauffahrende Autos brauchen keine 15 Minuten, schon legt die Fähre wieder ab. Wir fahren auf dem Damm bis nach Saaremaa durch, Muhu wollen wir auf der Rückfahrt bei hoffentlich trockenerem Wetter erkunden.
Abseits der Hauptstraßen, am Koigi- Moor, finden wir einen sehr ruhigen Wanderparkplatz für die Nacht. Da es aufklart, können wir zunächst einmal eine Runde durch das Moor laufen. Auf Bretterstegen , später auf federnden Metallplatten, geht man um den großen Moorsee.
Am nächsten Mittag fahren wir einen Stellplatz auf einer Landzunge an der Südküste an, Koiguste Sadam. Sadam heißt Hafen, das Wort wird uns hier auf der Insel noch häufig begegnen. Das Meer auf beiden Seiten, dazwischen ein Restaurant und ein komplett neues Waschgebäude mit Sauna, dazu gutes Trinkwasser und Grauwassergrube – und wir mit Biene fast allein auf der Wiese.
Von hier aus starten wir eine Fahrradtour, die uns richtig gut gefällt – endlich! Es geht über gut ausgebaute und kaum befahrene Straßen, zunächst über Tornimäe nach Orissare. Auf dem Weg treffen wir auf eine Steinspirale mit einem gespaltenem Meteoritenstein in der Mitte.
An wenigen Siedlungen und einigen großen Einzelhöfen auf noch größeren Grundstücken radeln wir vorbei. Jedes Grundstück ist mit Blumen geschmückt, der Rasen ist gemäht, die Wege sind geharkt. Die Landschaft ist hier abwechslungsreich: viel Mischwald, aber auch Landwirtschaft, Wiesen mit Rindern und freie Flächen.
Der Hafen in Orissare, einer kleinen Stadt mit großen Verwaltungsgebäuden, ist verwaist.
Auf dem Rückweg erwischt uns doch noch ein Regenschauer, doch abends ist es wieder trocken.
Sonne am Morgen, Sonne am Abend – und zwischendurch wollen wir auch am nächsten Tag eine Radtour machen. Die wird aber nur kurz, da es zwischendurch immer wieder regnet. Zudem ist die Fahrt über die Landstraßen eintönig: Wald rechts, Wald links und meistens eine schnurgerade Straße. Die kleine, nagelneu gebaute Marina in Turja ist sehr hübsch, aber völlig einsam und verlassen.
Nach zwei Nächten zieht es uns weiter, Saaremaa ist groß, und es gibt noch Einiges anzusehen. Zunächst fahren wir zu einer der größten Touristenattraktionen, dem Meteoritenkraater in Kaali. Immerhin soll er der achtgrößte Meteoritenkrater der Welt sein – allerdings sind außer uns kaum mehr als zehn Touristen hier.
Das Loch hat einen Durchmesser von 110 m und eine Tiefe von 22 m. Man kann einmal drum herum laufen – das ist alles.
In Kuressare, der Hauptstadt von Saaremaa, gehen wir im Supermarkt einkaufen und erleben dasselbe wie schon viele Male zuvor im Baltikum: Eine unfreundliche und einsilbige Kassiererin, die uns nicht anschaut und nicht mit uns redet. Hier allerdings reagiert die Frau an der Kasse mit einem plötzlichen Lächeln und einem Aufblicken auf unser freundliches „Thank you“ . Liegt es an den Masken, die wir auch hier aufsetzen? Oder identifizieren uns die Kassiererinnen als Ausländer/in, mit denen man sowieso nicht sprechen kann? Oder sind die Kassiererinnen, anders als in Deutschland, nicht „verpflichtet“, zu Kunden freundlich zu sein? Wir werden das weiter testen.
Doch jetzt geht es erst einmal zur Bischofsburg in Kuressaare, einer außerordentlich gut erhaltenen Ordensburg aus dem 14. Jahrhundert. Sie wirkt auf uns wie ein riesiger kastellartiger Klotz mit breiten Burggräben und großen Bastionen.
Im Vorhof üben wir uns im Bogenschießen.
Außerhalb der Burg beeindrucken uns die Hotelbauten aus Holz vom Anfang des letzten Jahrhunderts.
Nach dem Burgbesuch schlendern wir durch das Städtchen, trinken Kaffee auf dem Platz, schauen uns alte Holzhäuser an und schöne restaurierte Holzarchitektur aus dem letzten Jahrhundert – mehr gibt es hier auch nicht zu sehen.
So verlassen wir die Inselhauptstadt schneller als gedacht und fahren bis etwas südlich des „Halses“ der Halbinsel Sörve bis zum alten Leuchtturm von Lou. So einen ruhigen, abgelegenen Platz zum Übernachten hatten wir bisher noch nicht.
Wir sitzen unterhalb des Leuchtturms auf den großen Steinen am Strand…
genießen die Aussicht und die Ruhe bei leckerem Essen….
…und später den Sonnenuntergang….
Bis auf das Zirpen der Grillen, das Geschrei vereinzelter Möwen und das Säuseln des Windes herrscht absolute Ruhe.
Am Morgen des 5. August genießen wir diese Ruhe noch bis zum Aufbruch zu einer Radtour über die Halbinsel Sörve. Es wird eine schöne 54 km – Runde. Besonders der Weg an der Westküste entlang gen Süden bis Sääre gefällt uns sehr: immer wieder Meerblicke, Abwechslung durch Wiesen, Mischwälder, ein paar Ackerflächen, kleine Häuschen und ab und zu größere Höfe und Siedlungen. Es ist ruhig und einsam.
Unterwegs entdecken wir eine Hofstelle, die sogar eine Bockwindmühle an der Mauer hatte.
In Ohessaare besuchen wir eine der unzähligen Bockwindmühlen und den Steinmännchen-Strand.
Sääre im Süden der Halbinsel ist ein ehemaliger bedeutender Militärstützpunkt. Am großen Leuchtturm machen wir Rast und fahren dann auf der Ostseite der Halbinsel zurück.
Auf der Rückfahrt wird der Weg deutlich eintöniger, die Straße weniger kurvenreich und stärker bewaldet. Ein einsamer, neu angelegter Sadam in Montu bietet auch wenig Abwechslung. Da fotografieren wir lieber die beeindruckenden vielfältigen Bushaltestellen an der Straße! Selbst auf dieser einsam gelegenen Strecke fährt der Bus täglich 5-7 mal. Und wenn es regnet, kann man sich unterstellen, gelegentlich sogar wärmen! Nicht zu vergessen, kann man die Post mitbringen, wenn man aussteigt und nach Hause geht…
Nach der Tour fahren wir mit Biene weiter bis kurz vor Kihelhonna und übernachten auf Gut Loona.
Am nächsten Morgen geht die Reise weiter zunächst zum Mihklu Bauernhofmuseum. Es befindet sich auf und in einem typischen Saaremaa- Bauernhof aus dem 19. Jahrhundert. Die Gebäude sind gut erhalten bzw. so restauriert, dass man sich ins 19. Jahrhundert zurück versetzt fühlt. Es gibt ein Haupthaus mit einer gemauerten Schlotküche und einem Wohnraum, mehrere Nebengebäude mit Stallungen, Tenne, Scheunen und Handwerkerräumen und eine Sauna zu besichtigen. Fast alles ist mit der originalen Einrichtung erhalten.
Wir durchstreifen den großen Obstgarten und kommen zu einer Bockwindmühle am Rande des Geländes. Tom erprobt seine Kräfte an der Säge und dem Hand-Mühlstein.
Nach dem Besuch hier erreichen wir kurze Zeit später Panga Pank, die höchste Klippe der Insel mit 21 Metern. Für Esten ist das vermutlich schwindelerregend, denn die Landschaft ist ansonsten flach, Berge gibt es in dieser Region nicht.
Wir laufen eine größere Spazierrunde an den Klippen entlang durch den Wald und über das Inselinnere zurück zum Parkplatz.
Noch ein weiteres Ziel steht auf unserem heutigen Reiseplan: Der Windmühlenhügel von Angla. Hier stehen gleich fünf der für Saaremaa typischen Windmühlen nebeneinander, teilweise sind sie noch funktionstüchtig. Wir erstehen eines der ortstypischen, sehr dunklen und etwas süßlich schmeckenden Brote.
Am Spätnachmittag fahren wir hinüber nach Muhu, der kleineren Nachbarinsel. Eigentlich wollten wir hier am nächsten Tag eine größere Insel- Tour per Fahrrad machen, doch es ist Regen angekündigt. So suchen wir einen schönen Wanderparkplatz an der Nordküste auf. Am Üügu- Kliff können wir über Nacht bleiben und zuvor am Abend noch einen Spaziergang über die steindurchsetzten Wiesen am Rande der Ostsee machen.
In der Nacht regnet und stürmt es – eine unruhige Nacht, das Auto wackelt und der Sturm heult.
Morgens geht die Reise zurück aufs Festland.