Auf dem Pilion und auf Euböa

Am 11. Oktober reisen wir gut 150 Kilometer nach Osten. Da google maps die Streckenführung ohne die mautpflichtige Autobahn als unwesentlich länger darstellt, entscheiden wir uns hierfür – allerdings wechseln wir schließlich aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse irgendwann doch auf die leere und gut ausgebaute Autobahn. Für gut 10 Kilometer müssen wir 4,60€ bezahlen!

Gegen Mittag erreichen wir die Pilion- Halbinsel in Thessalien. Sie wird von der Ägäis auf der Ostseite und dem Pagasitischen Golf auf der Westseite umschlossen. Um die Hafenstadt Volos herum geht es über steile, kurvige und schmale Sträßchen hinauf auf den Pilion- Gebirgszug. In einer der zahlreichen Kurven können wir Blicke auf Volos werfen.

Bis ins Schi- Gebiet zieht es uns nicht, wir beziehen einen Nachtplatz in der Nähe des Dorfes Portaria am Wanderweg „Zentaurenpfad“ neben einer Quelle in etwa 800m Höhe. Grün und feucht ist es hier, die Bäume sind riesig und uralt und haben knorrige Formen, und die Felsen im Bachlauf schimmern grün. In der Nacht und am nächsten Tag regnet es, bei einem Gang zur Quelle entdecken wir etliche Feuersalamander.

Nachmittags lässt der Regenstrom nach, doch die Wolken hängen noch tief an der Westflanke des Gebirgszuges. Wir besuchen Makrinitsa, einen der schönsten – und touristischsten – Orte auf dem Pilion. Etwa 10 bis 12 Busse mit indischen und amerikanischen Touristen aus einem Kreuzfahrtschiff stauen sich auf der engen Bergstraße vor dem Örtchen – gut, dass wir zu Fuß unterwegs sind.

Makrinitsa – ein bisschen wie Berat

Makrinitsa gilt als „Balkon des Pilion“, uns erinnert der Blick auf das Dorf am Hang mit den weißen Häusern an Berat in Albanien. Die Häuser aus unverputztem Stein tragen Steinplatten- Dächer, viele der Häuser sind reich verzierte Herrenhäuser. Die Gebäude wirken ursprünglich, und um die riesigen Platanen auf dem Dorfplatz ranken sich Mythen. Wir versuchen, dem Touristenstrom zu entkommen, und laufen die steilen, mit senkrechten unregelmäßigen Steinplatten (gegen die Rutschgefahr) gepflasterten Wege zwischen den Häusern hinauf. Hier tragen noch Esel die Lasten hinauf.

Nach einer kurzen Sonnenphase versinkt die Gebirgswelt wieder im Wolkengrau.

Am 13. Oktober fahren wir auf der Halbinsel weiter in den Süden des Pilion, da wir einsehen müssen, dass der Nordteil mit seinen an die felsigen Hänge hoch hinauf angeschmiegten Häusern so steil ist, dass das Radeln hier sehr herausfordernd würde. Im Südteil hingegen werden die Berge flacher, und die Sonne zeigt sich heute häufiger. Erste Olivenbäume und Oleanderbüsche säumen die Straße, und das Gefühl „Jetzt sind wir im Süden“ wird stärker. Schließlich parken wir bei Chorto und schnallen die Fahrräder ab, um auf der Küstenstraße die Südspitze des Pilion zu erkunden. Das Radfahren ist wunderbar: Die Straße ist kaum befahren und asphaltiert. Der kleine Hafenplatz in Chorto wirkt gemütlich und einladend. An recht gut besuchten Tavernen hier und etwas weiter in Milina radeln wir bis Agios Andreas am Meer entlang, doch bevor es steil hinauf geht nach Trikeri kehren wir um.

Am nächsten Tag holt uns der Regen wieder ein, und wir verbringen einen Tag in Biene auf einem maroden, unbefahrbaren Straßenabschnitt bei Milina direkt am Meer. Sehr viel Müll liegt hier am Straßenrand – obwohl in jeder Siedlung viele Müllcontainer stehen, wirft man hier seinen Dreck in die Straßengräben und ins Meer.

Als das Wetter am 15. Oktober immer noch trist und von Regenschauern bestimmt ist, beschließen wir, den grauen Tag als Fahrtag zu nutzen und nach Euböa weiter zu fahren. Bis zur Hafenstadt Glifa geht es über viele Kilometer durch flaches Land mit industriell und handwerklich geprägten, schmutzig und herunter gekommen wirkenden Siedlungen. Erst kurz vor Glifa türmen sich wieder grüne Hügel auf. Von Glifa setzt eine Fähre nach Agiokampos auf Euböa über. Wir staunen über die Bestimmtheit, mit der die griechischen Fähren- Mitarbeiter die Autos auf drei Fahrspuren zu viert nebeneinander auf den vorderen Teil des Autodecks quetschen, während die hintere Hälfte frei bleibt und das Schiff während der Fahrt deutlich Schräglage nach vorne hat.

Nach einer halbstündigen Fahrt legt die Fähre an, und gemeinsam mit einem Defender-Fahrer aus der Nähe von Stuttgart finden wir einen ersten einsam gelegenen Nachtplatz an der Nordküste der Insel. Leider ist der Strand auch hier von Müll übersät, was die Fischer, die am nächsten Morgen gegen 5.30 Uhr kommen, aber offensichtlich nicht stört.

Wir verlassen den Platz am Morgen in der berechtigten Hoffnung auf Sonne und fahren bis Loutra Edipsos. Der Himmel klart mehr und mehr auf, und wir satteln die Räder, um einen kleinen Teil der nördlichen Westküste Euböas südlich von Loutra Edipsos zu erkunden. Zunächst besuchen wir die heißen Schwefelquellen. In den Becken, die sich im Sandstein geformt haben, baden einige Menschen. Wir testen das aus dem Stein quellende Wasser und verbrennen uns fast die Finger.

Die Kuranlagen sind verfallen, und bis auf ein renoviertes Luxushotel sind die anderen ehemaligen Hotels von morbider Schönheit.

Obwohl die Straße – als einzige durchgehend asphaltierte Straße – die Hauptverbindung zur Inselhauptstadt Chalkida darstellt, ist sie in diesem Teil kaum von Autos befahren, und wir genießen das Radfahren nach der Regenpause. Bis Ilya radeln wir direkt an der Küste entlang, dann geht es – wie auch sonst – wieder hoch in die Berge. Der Weg erweist sich als sehr steil, aber glücklicherweise meist befestigt.

Bei dem kleinen, sehr verfallenen und dennoch bewohnten Dorf Polilifio erreichen wir den höchsten Punkt der Strecke und können bald auf die Nordseite schauen.

17. Oktober

Diesen warmen Sonnentag nutzen wir nochmals für eine Radtour, dieses Mal in den äußersten Nordwesten Euböas, 30 Kilometer um die Halbinsel Lichada herum und wieder zurück. Überwiegend führt die Straße an der Küste entlang, bis auf einen kleinen Abstecher in den Ort Gialtra auf einem Berg. In Agios Georgios picknicken wir am Hafen, in dem einige große Fischereischiffe geputzt werden.

Als die Straße in eine Schotterpiste übergeht, kehren wir um und wollen auf gleichem Wege zurückkehren. Leider sind auf einem kleinen Abschnitt des Weges Büsche mit langen Dornen, die den Hinterreifen von Toms Fahrrad zerstechen.

Da dieser irreparabel ist, verwandle ich mich kurzzeitig in eine Rennradlerin und fahre allein zurück, um mit Biene Tom und sein Fahrrad abzuholen. Auf dem Rückweg nutzen wir die Gelegenheit, an einer kleinen Kirche mit Feuerwehrstation am Brunnen Wasser zu tanken.

Abend in Loutra Edipsou

Nach einer weiteren Nacht in Loutra Edipsou findet sich im 20 km entfernten Istiaia ein Mopedhändler, der auch Fahrräder repariert. Innerhalb einer Stunde tauscht er den Hinterreifen von Toms Rad gegen einen neuen aus und ersetzt die abgefahrenen Bremsbeläge meines Rades durch neue; für die Bremsbeläge und eine neue Bremsscheibe an Toms Fahrrad müssen wir in drei Tagen noch einmal wiederkommen. Bei diesen Bergen halten die Beläge keine 2000 Kilometer!

Diese drei Tage nutzen wir, um das nördliche Viertel von Euböa weiter zu erkunden. Sobald wir von der Nordwestküste in die Berge fahren, zeigt sich uns ein Bild völliger Zerstörung: Im Sommer 2021 wüteten hier die verheerendsten Waldbrände Griechenlands. Zehntausende Hektar Wald und Ackerland sind hier niedergebrannt. Schwarze Baumriesen ragen wie Skelette in die Luft, meistens die Reste der zahlreichen Aleppo- Kiefern.

Die Drymonas- Wasserfälle auf etwa 600m Höhe, zu denen ein kurzer, attraktiver, mit weißen Steinplatten belegter Spazierweg führt, liegen inmitten dieser katastrophalen Zerstörung. Wohin man schaut – alle Bäume sind verbrannt. Auf dem Weg zeigt sich das neue Grün in Büschen und Gras, duftende Wildkräuter, einige blühende Blumen und Farne säumen den Weg.

Die Straße, die hierher führt, hat sich gewölbt und aufgeworfen, der Asphalt vielfach abgetragen worden. Über die kaum befahrene Verbindungsstraße fahren wir weiter bis Agladi an der Nordostküste Euböas. Auch bei den beiden Radtouren an der Küste sehen wir die erschreckenden und verstörenden Folgen der Brände, die teilweise bis unmittelbar an die Meereslinie heranreichen. 

Die Schönheit der Insel zeigt sich in dieser Umgebung nur selten, wie in den Buchten oder um die Dörfer und Häuser herum, die vor den Bränden gerettet wurden. Oft sieht man, dass das Feuer bis an den Grenzzaun eines Hauses oder an ein Dorf herangekommen ist. Dann stehen lediglich die Bauwerke mit den dazugehörigen Bäumen im Garten und ein paar Olivenbäume. Eine bizarre Ästhetik ist es, wenn man durch schwarze Baumstämme auf hell leuchtende Häuser und tiefblaues Meer schaut.

Die Bucht von Psaropouli, wo wir in einem hübschen kleinen Hafen stehen und später an der langen, einsamen Strandstraße übernachten, ist offensichtlich von den Feuern verschont geblieben. Hier zeigt sich, wie grün und einladend die Insel ursprünglich war – auf einige Kilometer rund um den Ort haben die Feuer Bäume und Häuser verschont.

Hier können noch wenige Menschen ihrer Arbeit, dem Harzen, nachgehen. Viele Menschen lebten hier von der Gewinnung des Harzes aus den Aleppo- Kiefern, deren Wälder die Dörfer umgaben. Mit dem Harz wird Retsina hergestellt, verschiedene Klebstoffe, Lacke, Kaugummi und Vieles mehr. 80 Prozent dieser Harze kam aus den Waldgebieten auf Euböa, sehr viele Menschen haben davon gelebt. Auch der Kiefernhonig kann nun nicht mehr gewonnen werden.

Diese Haupteinnahmequelle ist nun auf Jahrzehnte hinaus zerstört; ein Einwohner erzählte uns, dass der griechische Staat bisher keinerlei finanzielle Hilfen gezahlt hat. Deswegen sind viele Menschen ausgewandert, etliche Häuser stehen leer. Bis weit in den Süden hinunter sehen wir auf unserer weiteren Fahrt die riesigen Brandflächen. Auch der Tourismus leidet unter der gewaltigen Zerstörung – die Einsamkeit in der Natur der Insel ist nun noch größer geworden.

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