Im Dartmoor
Auf dem Rückweg nach Dover wollen wir noch das Dartmoor besuchen. Allerdings verhindert das nasse und kalte Wetter eine intensivere Erkundung. In Lydford am Rande des Dartmoors nehmen wir Quartier auf einem überteuerten Campingplatz. Von hier aus ist es nicht weit zur Lydford Gorge, der mit 30 Metern tiefsten Schlucht Südenglands. Sie wird vom River Lyd durchflossen und bildet einen feuchten, tiefgrünen Märchenwald mit tropfenden Felshängen. Auf schmalen, etwas rutschigen Wegen gelangt man bis zu einem Pool, in den das Wasser sprudelt.
Kurz vor den nächsten Regenschauern durchqueren wir den Ort Lydford mit Kirche und Burgruine und laufen zurück zum Campingplatz.
Am Folgetag schauen wir uns einen anderen, etwas südlicher gelegenen Teil der Schlucht mit dem White Lady Waterfall an. Neben dem Fluss entdecken wir Coin Trees, in welche tausende von Münzen geschlagen worden sind. Ein Brauch, der Glück bringen soll.
Das gesamte Gebiet wird vom National Trust verwaltet, und so fallen uns auch hier, wie überall zuvor bei Besichtigungen, einige „typisch englische“ Details ins Auge. So wird, wo immer es möglich ist, besondere Rücksicht auf Besucher*innen mit Behinderungen und auf Menschen mit kleinen Kindern genommen: Rollis und Rückentragegestelle sind umsonst auszuleihen. Die Wege und Zugänge sind selbst hier, in diesem zerklüfteten und hügeligen Gebiet, soweit wie möglich behindertengerecht gestaltet.
Auch auf die Hunde der Besucher*innen wird besonders eingegangen, sei es mit Pfählen zum Anbinden von vierbeinigen Begleitern vor den Toiletten oder mit dem Angebot an Hunde- Eis. Dennoch wird die Sicherheit und das Wohlbefinden der Besucher*innen geachtet.
Da Radfahren bei 12 Grad und Dauerregen nicht attraktiv ist, verschieben wir die Erkundung weiterer Sehenswürdigkeiten im Dartmoor auf einen trockeneren Sommer. Nach einem Stadtrundgang in Tavistock, einer kleinen historischen Stadt am Westrand des Dartmoors mit riesigem Rathaus und einer großen gotischen Hallenkirche, vielen kleinen Geschäften und einer imposanten Markthalle, durchfahren wir zügig das unter Naturschutz stehende Gebiet. Die steilen Hügel des Dartmoors verschwinden in den Wolken, die Heide- und Moorlandschaft und auch die Tors, typische Steinaufhäufungen, sind nur zu erahnen. Schade, denn hier begrenzen einmal keine Hecken wie in Cornwall den Blick.
Bis Salisbury kommen wir gut voran. Diese als besonders sehenswert beschriebene Stadt wollen wir anschauen – allerdings ist das aufgrund der Parkplatzsituation nicht möglich. Der große Parkplatz am Stadtrand ist eine riesige Baustelle, auf der sich lange Staus bilden und es unmöglich ist, eine Lücke für Biene zu finden. Entnervt geben wir nach einer Stunde auf und wagen uns auf die M25, die südlich an London vorbei führt. Aufgrund der katastrophalen Verkehrssituation hat sich um London herum auf dieser Strecke ein etwa 50 Kilometer langer Stau gebildet, und die Möglichkeiten auf andere Straßen abzufahren sind genauso schlecht wie durchzuhalten – wir brauchen entsprechend lange, um am heutigen Etappenziel bei Sevenoaks anzukommen.
Zwei Herrenhäuser in Kent
Inzwischen befinden wir uns in der Grafschaft Kent auf einer Campingsite des National Trust. Eine letzte Entdeckungstour ohne Regen gelingt am 10. Juli. Auch wenn immer wieder schwarze Wolken durchziehen, bleibt es trocken, und so radeln wir zunächst zum Knole House, einem Herrenhaus, das ursprünglich als Bischofspalast vor etwa 600 Jahren erbaut wurde. Heinrich VIII verleibte sich das Anwesen schließlich 1538 ein und baute es weiter aus, weilte dort jedoch selber nie lange Zeit. Seit 1566 gehörte es der Familie Sackville- West, die dort über 400 Jahre lebte. Mit jeder neuen Generation wurde erweitert, angebaut und umgebaut. Angeblich gibt es im Haus 7 Innenhöfe, 52 Treppen und 365 Räume – gesehen haben wir davon nur einige. Seit 1946 gehört das Anwesen dem National Trust.
So spektakulär wie der Bau ist auch das Interieur. Wandteppiche, Möbel, aufwendig gestaltete Kamine und königliche Betten aus dem 16. und 17. Jahrhundert lassen uns staunen.
Durch den Damwild- Park radeln wir zu einem weiteren Besitztum des National Trust, es liegt nur acht Kilometer entfernt. Es ist nicht so prunkvoll und groß, aber ebenfalls ein besonderes Herrenhaus und hat in den ältesten noch erhaltenen Teilen das stolze Alter von 700 Jahren erreicht: Ightham Mole. Nur geringfügige Änderungen in der Grundstruktur des Hauses lassen es heute noch ähnlich wie damals erscheinen. Es hat einen Innenhof, um den sich die vier Seiten gruppieren und nach innen orientieren, nach außen umschließt das Gebäude ein Wassergraben. Äußerlich erinnert es an Bauten in der Normandie, da es aus Stein und einem Fachwerk aus vielen senkrechten Eichenstämmen erbaut ist.
Der weitläufige Garten erstreckt sich über eine Rasenfläche hinaus bis zu einem Teich, der durch einen kleinen Bach gespeist wird. Ein Teil des Gartens ist mit Blumenflächen, Gemüsebeeten und Brunnen gestaltet. Wie in jedem bisher gesehenen englischen Garten herrscht eine angenehme Atmosphäre von gepflegt- verwilderter Gestaltung mit vielen blühenden Pflanzen, Büschen und Bäumen.
Canterbury
Das letzte Ziel der Reise ist Canterbury in Kent. Canterbury liegt nur noch eine halbe Fahrstunde von Dover entfernt und – besonders erwähnenswert: Es gibt einen preiswerten Stellplatz für Wohnmobile, von dem aus man bequem und kostenfrei die Altstadt in wenigen Minuten erreichen kann.
Canterbury ist vor Allem durch die Kathedrale bekannt, die auch heute noch der Sitz des Erzbischofs und damit Zentrum der Anglikanischen Kirche ist. Die Studentenstadt hat Flair und wird von vielen Jugendgruppen besucht, schließlich hat sie außer der Kathedrale noch einige Sehenswürdigkeiten zu bieten.
Das Old Weaver House am River Stour aus dem 15. Jahrhundert erinnert an die Weber, die sich hier niederließen; es gibt die King´s School, eine Privatschule und älteste Schule der Welt, das Beaney House of Art and Knowledge, das Eastbridge Hospital, das Denkmal Thomas Becket´s und weitere interessante Gebäude wie das Canterbury Castle und etliche Kirchen. Einige davon sind mit Flintstein verkleidet, was der Wand einen besonderen Glanz verleiht.
Die Canterbury Cathedral überragt alle anderen Bauten und liegt in einem abgeschlossenen großen Gebäudekomplex, der Domfreiheit. Die Kathedrale wurde bereits im 11. Jahrhundert erbaut, Reste hiervon sind heute noch in der Krypta zu sehen. Die meisten Bauteile stammen aus romanischer und gotischer Zeit. Die schiere Größe der Kathedrale mit ihren unzähligen Kapellen lässt uns Staunen.
Die Besichtigung Canterburys ist ein gelungener Abschluss der Reise, und am Morgen des 12. Juli bringt uns die Fähre von Dover nach Calais und damit nach fast acht Wochen zurück aufs Festland.
Ein kleines Fazit
Fremd war uns England in den ersten Tagen, nicht nur wegen des Linksverkehrs, sondern weil alles ein bisschen „anders“ ist: Das hohe Verkehrsaufkommen auf Straßen, die in Teilen autobahnähnlich sind, dann aber wieder in einen Kreisverkehr münden, an dem sich alles staut; die Campingplätze, die oft nur große Wiesen sind ohne Grauwasserentsorgung; die kleinen Läden, die es – anders als in Deutschland – noch vielfach gibt; die alten, oft noch einfach verglasten und ungedämmten Häuser und vor Allem und immer wieder die Freundlichkeit der Menschen.
Südengland war für uns landschaftlich beeindruckend schön. Saftig-grüne und farbenfrohe, ungemähte hohe Wiesen, Hecken und steile Hügel, eine zerklüftete und wunderbar wanderbare Küste mit Felsen, Kies- und Sandbuchten und hübsche kleine Städte haben für Abwechslung und Wohlbefinden gesorgt. Die nicht sommerlichen, etwas niedrigen Temperaturen haben unsere Unternehmungen nicht behindert, zumal es in den ersten Wochen kaum geregnet hat. Und schließlich haben wir in den gesamten fast acht Wochen keine Mücke und keine Pferdebremse gesehen oder gespürt.
Entgegen vielen Kommentaren im Internet haben wir das Radfahren in England zwar wegen der steilen Berge als anstrengend, aber nahezu durchgehend schön und ungefährlich empfunden und genossen. Es war fast immer möglich, die Routen so zu wählen, dass sie nicht über stärker befahrene A-Straßen führten, und meistens war auf schmaleren Straßen nur wenig Verkehr. Auf einspurigen Straßen haben die Autofahrer*innen stets Rücksicht genommen, oft angehalten und uns freundlich grüßend vorbei fahren lassen.
Anders erging es uns als Autofahrer*in. Weite Strecken zu fahren empfanden wir als sehr anstrengend. In Südengland kommt man nur langsam voran: Entweder ist es voll oder eng. Die Verkehrsplanung in England ist so gewöhnungsbedürftig, dass wir auch auf der Rückfahrt noch Schwierigkeiten mit aufeinander folgenden Kreisverkehren, sehr langen oder fremd ausgeschilderten, teilweise kilometerlangen Auf- und Abfahrten haben.
Ganz beeindruckend positiv ist die Freundlichkeit und Zugewandtheit der Menschen in England. So viele Engländer*innen haben uns angesprochen und sich nach Erfahrungen und Wohlbefinden erkundigt, Tipps für Ausflüge und Einkaufsmöglichkeiten gegeben und Wege gewiesen. Keine einzige schlechte Erfahrung mussten wir im Umgang mit Menschen machen. Diese Umsichtigkeit und Höflichkeit spiegelt sich auch im Umgang mit Verbotsschildern (als Bitte formuliert), mit gehandikappten Menschen (ich habe noch nie so viele Rollstuhlfahrer*innen in der Öffentlichkeit gesehen) und nicht zuletzt mit Hunden (schätzungsweise gibt es in England ebenso viele Hunde wie Menschen, aber keine Hundehaufen auf den Gehwegen). Die Engländer*innen haben unsere Herzen erobert!
Eine gute Entscheidung war es, im Vorfeld der Reise dem Verein „Kulturerbe Bayern“ für 18€ jährlich als Mitglied beizutreten, da dies den kostenfreien Besuch sämtlicher Denkmaler des National Trust beinhaltet. So hat jede*r etwa 135 Pfund (etwa 150€) bei den Eintritten für Denkmäler des National Trust gespart, da in England die Eintrittsgelder sehr hoch sind.
In England gewöhnt man sich das Rauchen ab: Nachdem wir für eine Schachtel Zigaretten umgerechnet 20€ bezahlt haben, schmecken die Zigaretten nicht mehr. Zudem ist das Rauchen fast überall nicht erwünscht oder zumindest nicht gern gesehen – auch nicht im Außenbereich von Cafés. Rauchende Engländer*innen haben wir sehr selten gesehen.
Erstaunt hat uns die oft schlechte Internet- Verbindung in einigen Gebieten Südenglands – und dass wir kaum deutsche Camper gesehen haben. Gegen Ender unserer Reise wurden es langsam mehr; England ist wohl für die meisten Deutschen ein eher ungewöhnliches Sommer- Reiseland.
Für uns steht fest: Wir werden nicht zum letzten Mal in England gewesen sein!