26. Oktober
Wir haben eine ruhige Nacht auf dem Parkplatz des Lovcen- Nationalparks verbracht und starten früh zu einer Radtour, die uns hoch hinauf zum Mausoleum des Dichterfürsten Petar II auf dem Jezerski vrh, der immerhin mit 1675 Metern der zweithöchste Gipfel des Lovcen- Gebirges ist, führen soll. Es ist noch sehr kalt, so dass wir wieder alle Jacken und Hosen übereinander ziehen und mit Mütze und Handschuhen starten.
Schnell wird uns warm, denn es geht erst einmal etwa 400 Höhenmeter bergauf, und schon jetzt sind die Ausblicke auf das mit herbstlich leuchtenden Bäumen betupfte Karstgestein und darüber hinweg auf die Bergmassive ringsum beeindruckend.
Im Sommer zieht das monumentale Grabmal auf dem Berg wohl Tausende von Touristen an, heute sind auf der Straße kaum Fahrzeuge unterwegs, und auch am Monument sind nur wenige Neugierige. Vom Parkplatz aus steigt man noch einmal 461 Stufen, teils durch einen aufwendig gebauten Tunnel, hinauf, um dann zu einer Plattform mit dem Denkmal zu gelangen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt – hat der Politiker und Dichter diesen Platz doch selbst ausgesucht. Hier nun liegt ihm und uns ganz Montenegro zu Füßen. Wir können bis zum Durmitor- Gebirge auf der einen Seite, zum Prokletje auf der anderen Seite und bis zur Adria schauen.
Im Inneren des Mausoleums ist der Dichterfürst höchstselbst mit dem Nationalvogel Montenegros, dem Adler, aus 28 Tonnen feinstem Marmor erstanden – darüber blinkt eine Kuppel aus 200000 vergoldeten Mosaiksteinchen. Und wir dürfen davor stehen…
Nach diesen Eindrücken und Ausblicken kann man kaum noch mehr erwarten, und dennoch bieten sich uns schon nach einigen Kilometern traumhafte Ausblicke auf die Bucht von Kotor.
Nun geht es viele Kilometer hinab bis nach Njegusi. Hier wird ein besonderer Schinken geräuchert, es qualmt aus einigen Dächern. Wir kaufen ein Stück dieses Schinkens, der wirklich köstlich schmeckt, dazu Käse mit Blaubeeren und mit Wildkräutern und einen Granatapfelwein an einem der Straßenstände. In einem Garten entdecke ich einen gehenkten Fuchs – ob der hier wohl vorher Hühner gestohlen hat?
Von Njegusi geht es in vielen Kehren erst bergauf, dann wieder bergab bis Cetinje. Die letzten 14 Kilometer sind ein einziger langer Berg, die Akkus geben ihr letztes, unsere Beinmuskeln auch.
27. Oktober
Heute vormittag schlendern wir durch Cetinje, Montenegros ehemalige königliche Hauptstadt. Wir genießen das kleinstädtische Ambiente und schauen uns die immer noch sehenswerten Herrschafts- und Botschaftsgebäude im historischen Umfeld an. Nach vielen Herrschaftswechseln verschiedener Mächte, Zerstörungen und Wiederaufbauten erlebte die Stadt nach 1878 eine Blütezeit und den Aufbau vieler Gebäude sowie den Ausbau wichtiger Straßen und politische und soziale Neuerungen. Nach 1946 verlor die kleine Stadt ihren Hauptstadtstatus an Podgorica, ist aber noch immer Amtssitz des Staatspräsidenten. Auf dem belebten Platz trinken wir einen Espresso und verlassen die Stadt am frühen Nachmittag, um Richtung Skadarsko jezero, dem Skadar- See, zu fahren.
Weit kommen wir nicht auf der schmalen, kurvenreichen Straße mit den sagenhaften Ausblicken, denn der Wiesenplatz mit dem Campingschild in Rijeka Crnojevica sieht allzu einladend aus. Er liegt direkt am gleichnamigen Fluss. Hier werden wir drei Tage und Nächte Quartier beziehen.
Wir werden freundlich mit Kaffee und Kuchen begrüßt – wie wir später feststellen, bekommen wir beim Bezahlen jeden Nachmittag zwei Stücke leckeren süßen Kuchen; jedesmal anderen. Eine kleine Spazierrunde lässt erahnen, dass dieser Ort einmal mehr Bedeutung hatte als noch ersichtlich ist. Viele Gebäude sind nun verfallen und zu „lost places“ verkommen, da die Bewohner aufgrund des Bedeutungsverlustes als Hafen am Skadar-See und demzufolge verwahrloster und verkommener Läden und Manufakturen in die umliegenden Städte gezogen sind. Es gibt aber noch zwei Restaurants und eine Menge Boote, deren Besitzer zu Bootstouren auf dem Fluss und dem Delta des Skadar- Sees einladen – für ein entsprechendes Entgeld natürlich. Touristischer Anziehungspunkt ist die alte Steinbrücke „Stari most“.
28. Oktober
Um 10 Uhr starten wir zu einer Bootstour auf dem Fluss und durch das Delta des Sees. Eigentlich ist es so früh am Morgen noch viel zu kalt dafür – oder haben wir nur zu wenige Jacken an? Zwei Stunden dauert unsere Fahrt über den Fluss und durch die Seerosen- und Schilfwälder des größten Süßwassersees der Balkan- Halbinsel, der halb zu Montenegro, halb zu Albanien gehört. Entlang der gesamten Nordseite des Sees erstreckt sich ein Sumpf mit vielen Wasserpflanzen und Vögeln. Wir sehen viele Graureiher und Silberreiher, noch viel mehr Kormorane und einen einzigen Eisvogel, der blitzschnell flüchtet.
Nachdem wir uns nach der Bootstour eine Weile in der Sonne auf unserem Wiesenplatz aufgewärmt haben, radeln wir noch eine kleine Runde oberhalb des Flusses. Am Hotel Gazivoda, das seit längerer Zeit leer steht, hat man einen tollen Ausblick auf die Flussschleife.
29. Oktober
An diesem letzten Tag in Rijeka Crnojevica starten wir morgens zu einer längeren Radtour, die uns über 1000 Höhenmeter bergauf und bergab in einer großen Runde zum Skadar- See und wieder zurück führt. Der Sonnengott ist uns auch heute wieder wohl gesonnen und zeichnet den Herbst in den schönsten Farben auf Montenegros Felsen.
Von oben können wir über die Berge bis in die weiter entfernt liegenden Gebirgsketten blicken.
Wir begegnen Menschen, die hier in den Bergen noch mit ihren Arbeitspferden Holz rücken, und kommen an zahlreichen Weingütern vorbei.
Zurück geht es an Virpazar vorbei und oberhalb des Skadar- Sees entlang. Ein Café am Straßenrand lockt mit Espresso und spanischen Gitarrenklängen. Es wird schon schattig und kühl, als wir wieder an unserer Biene ankommen.