Von Taroudannt über den Tizi-n-Test nach Marrakesch

Taroudannt

Die Strecke nach Taroudannt führt uns wieder nach Norden, an Tiznit vorbei und weiter über kleinere schmale, teils ausgewaschene, staubige und löchrige Straßen. An einem Stausee mit etwas Wasser geht es vorbei, an Ziegen, die auf Bäume klettern und das wenige Blattgrün abfressen. Die Strecke erscheint uns elend lang und beschwerlich, nicht rechtzeitig sichtbare Querrillen und tiefe Schlaglöcher machen die Fahrt zu einem Höllenritt. Hinzu kommen männliche Jugendliche, die sich mit ihrem Fahrrad lebensmüde vor unseren Camper stürzen oder auch an den Fahrradträger hängen. Bei einer scharfen Bremsung fällt ein Junge herunter und rennt davon, in Bienes Heck prangt eine Beule. Wir haben die Nase voll von der heutigen Fahrt und sind froh, endlich in Taroudannt auf einem etwas abgelegenen Campingplatz anzukommen.

Mit den Fahrrädern radeln wir tags darauf in die Stadt. Sie ist fast vollständig von einer hohen Stadtmauer umgeben, fünf Tore, die aus dem 16. Jahrhundert stammen, führen in die Stadt hinein. Wir radeln kreuz und quer von einem zum nächsten Stadttor durch die belebten Straßen, immer mit all den Moped- und Fahrradfahrern (Frauen sind extrem selten in der Öffentlichkeit auf Fahrzeugen zu sehen) und den Eselskarren um genügend Platz auf den Wegen ringend.

Am Place el Assaragh spricht uns ein Marokkaner auf Deutsch an und erzählt von seiner Tochter, die in der Medina der Stadt den Laden einer Argan- Kooperative führt. Diese Kooperativen werden von Frauen geleitet, und es werden Frauen vom Lande in der Arganölproduktion beschäftigt, damit diese nicht in die Armut abgleiten. Der Mann führt uns durch die Medina zu dem hochwertig aussehenden Laden, in dem man der beispielhaften Arganölproduktion zusehen und natürlich auch die entsprechenden Produkte kaufen kann.

Nach einem Kaffee und einem Orangensaft mit Gebäck und Omelette lauschen wir dem freitagmittäglichen Ruf der Muezzine und schauen zu, wie nahezu alle männlichen Bewohner der Stadt ihre Buden und Geschäfte verriegeln, um mit ihrem Gebetsteppich dem Ruf in die Moschee zu folgen. Es wird ruhig und leer in den Straßen. Wo sich die Frauen befinden, können wir nicht sehen, doch sind uns die zahlreichen voll verschleierten Frauen in den Straßen aufgefallen. Taroudannt ist eine konservativ islamisch geprägte Stadt.

Vor den Toren der Stadt entdecken wir die erste Müllabfuhr in Marokko, einen Eselskarren.

Müllabfuhr

Zum Tizi-n-Test

Eine landschaftlich schöne, kurvige und etwas abenteuerliche Strecke verspricht der Reiseführer. Nach dem Stadtbesuch genau das Richtige, denken wir. Nach Oulad Berhil, wo dichtes Marktgedränge herrscht, ist die Straße zunächst breit ausgebaut. Bevor die Bergkette des Hohen Atlas nahe rückt, sehen wir die ersten Notunterkünfte – Zelte und Container – die daran erinnern, dass sich etwa 50 Kilometer nördlich von hier das Epizentrum des schweren Erdbebens von September 2023 lag.

Bald wird die Straße schmaler und steigt in Serpentinen von 500m auf über 2000m innerhalb von 30 Kilometern an. Die Ausblicke auf die Berglandschaft sind atemberaubend, doch der Zustand der abgebrochenen Straßenränder erinnert immer an die katastrophalen Folgen des Erdbebens. Herabgefallene Felsen wurden innerhalb weniger Wochen nach dem Beben von der Straße geräumt, doch der Anblick zerstörter Wohnhäuser ist erschütternd.

Kurz vor dem Pass wird die Straße abenteuerlich schmal. Direkt auf dem Pass auf 2100m Höhe hat das hübsche kleine Hotel-Restaurant Auberge la Haute Vue das Erdbeben schadlos überstanden. Hier werden auch ein paar Wohnmobil-Stellplätze in einzigartiger Lage mit Blick über den Hohen Atlas angeboten. Wir bekommen ein Essen in angenehmer Atmosphäre am brennenden Kamin und verbringen die Nacht etwa 100m oberhalb– nicht etwa bei winterlichen Temperaturen und Schnee, wie man im Januar auch in Marokko erwarten kann, sondern bei nächtlichen 4 Grad, die tagsüber auch hier oben schnell wieder zu 20 Grad werden.

Blick vom Tizi-n-Test am Morgen

Vom Tizi-n-Test hinunter in Richtung Marrakesch kommen wir dem Epizentrum des Erdbebens immer näher, und neben den großartigen Ausblicken sehen wir immer häufiger zerstörte Häuser und ganze Dörfer, deren Bewohner nun in teils professionell eingerichteten Zeltstädten, vielfach aber auch in selbst gebastelten Zelten aus Planen und Decken leben. Wie nah hier Schönheit der Natur und ihre zerstörerische Kraft beieinander liegen! Freundliche Menschen winken uns zu, niemand bettelt, obwohl man hier gerne etwas gibt und spendet. Ein Glück für die Bewohner, dass der Winter bisher so milde ausfällt. Lastwagen und Karren mit Baumaterialien und anderen Waren werden bergauf uns entgegen in diese Bergregion gebracht.

Über 60 Kilometer legen wir in 5 Stunden zurück, die Straße ist nur sehr langsam und überwiegend im 1. Gang befahrbar. Weiter unten im Tal wird der uns seit geraumer Zeit begleitende Bach breiter und zur Barrage Ouirgane.

Wir sind froh, nach dieser strapaziösen Abfahrt und einer schwierigen Suche nach einem Nachtplatz – alle Campingmöglichkeiten sind vom Erdbeben betroffen und nicht mehr existent – ein leerstehendes Grundstück bei Ourika in der Nähe unseres Zieles für morgen gefunden zu haben.

Anima Garden von André Heller

Der österreichische Universalkünstler André Heller hat südlich von Marrakesch in sechs Jahren, von 2010 bis 2016, ein über drei Hektar großes Stück Land in einen paradiesischen Garten verwandelt. Eine unglaubliche Pflanzenvielfalt, insbesondere verschiedene Palmen- und Kaktusarten wachsen hier, und inmitten dieser grünen Hölle überraschen immer wieder ganz unterschiedliche meist farbenfrohe Kunstinstallationen, die darin eingebunden sind. Nach all dem gelb-braunen Sand und Stein ist dieser üppige Garten eine reine Erholung!

Einige Stunden genießen wir die Ruhe die nur durch Vogelgezwitscher und Wasserplätschern unterbrochen wird, um schließlich im herrlich bunten Café zu essen und auf der Dachterrasse Sonne und Ausblick zu genießen.

Eigentlich wollten wir in das nahe Ourika-Tal weiterfahren, um dort Rad zu fahren, doch schon im Ort Ourika und auf der Zufahrt zum Tal herrscht extrem starker Verkehr. Hoch beladene Fahrzeuge bringen Hilfsgüter und Waren in die zerstörten Dörfer, Touristen sind offenbar dennoch auf dem Weg in die Wandergebiete der höher gelegenen Orte. Viele Autos parken am Straßenrand, wo Händler ihre Waren verkaufen, und Baumaschinen aller Art beseitigen die herabgefallenen Felsen auf der Fahrbahn. Angesichts der Zerstörungen an Häusern und Straße durch das Erdbeben, das auch hier noch gewütet hat und des hohen Verkehrsaufkommens fahren wir lieber direkt zu einem Campingplatz nördlich von Marrakesch.

Leider müssen wir Marrakesch dazu auf breiten Straßen und vielen Kreisverkehren durchqueren – an letzteren komme ich aus der Schreckensstarre gar nicht mehr heraus. Von links, von rechts drängen Autos, Mopeds und ab und zu auch Radfahrer an uns vorbei, schneiden, zwängen sich in die kleinsten Lücken und wirken, im Gegensatz zu mir, kein bisschen gestresst.

Glücklicherweise finden wir auf dem Campingplatz „Le Relais“ noch einen hübschen freien Platz und entspannen für den Rest des Tages, bevor wir am nächsten Tag die Stadt Marrakesch erkunden.

Das Sammeltaxi bringt uns mit einigen anderen Touristen für 23 MAD (ca 2,20€) die etwa 12 Kilometer zum Hauptplatz der Stadt und wird uns zum vereinbarten Zeitpunkt wieder pünktlich abholen.

Das monumentale, 77m hohe Minarett der Kutubiya-Moschee direkt am Platz Djamaa el-Fna ist ein Wahrzeichen von Marrakesch und bietet uns einen Orientierungspunkt. Leider ist der obere Teil verhüllt, und das eigentliche, 90m lange Gebäude dürfen wir als Nicht-Moslems nicht betreten.

Uns zieht es in die Souks von Marrakesch, die größten des Landes. Sie sind traditionell nach Handwerksberufen gegliedert. Am Vormittag kann man noch ungehindert durch die zahlreichen schmalen und breiteren Gassen schlendern. Die meisten sind überdacht, oftmals mit aufwändig gestalteten Holzornamenten, doch es gibt auch offene Bereiche und kleine Plätze.

Türen und Tore innerhalb der Medina

Mittags kann man gut auf der Dachterrasse eines der Cafés am Hauptplatz Djamaa el-Fna (Platz der Geköpften) sitzen und auf das bunte Treiben herabschauen. Hier gibt es nicht nur Stände mit Obst und Esswaren, sondern ein Gewirr von Händlern, Musikern, Schlangenbeschwörern, Artisten, Gauklern, Frauen, die Hennamuster auf Hände malen, und Geschichtenerzählern. Rufen, Singen, Marktgeschrei, Flötentöne und die Fetzen lautstarker Verhandlungen dringen bis oben auf die Terrasse. Heute Mittag ist es noch eher ruhig, am Nachmittag und Abend füllt sich der Platz mehr und mehr.

Später laufen wir noch einmal durch die Medina zur Medersa Ben Youssef, der einst größten und bedeutendsten Koranschule des Maghreb.  Es ist eines der ältesten Gebäude der Stadt, der Bau stammt so wie er heute erscheint aus dem 16. Jahrhundert. Die Koranschule ist frisch renoviert. Man betritt den Innenhof mit dem Wasserbassin durch eine prächtige Tür aus Zedernholz.

Innenhof der Medersa Ben Youssef

Der Fußboden ist aus Marmor gefertigt, die Gestaltung der Wände und Durchgänge mit Stützpfeilern und Stuckelementen ist beispielhaft für die vollendete maurische Architektur.

Um den Innenhof liegen die Wohnräume für die vor Allem aus ländlichen Regionen stammenden Studenten. Sie sind um mehrere kleine, ebenfalls aufwändig gestaltete Innenhöfe angeordnet und sind für heutige Begriffe sehr klein. Im Erdgeschoss haben die Zimmerchen kaum 5qm, ein aufklappbares Fenster ist in die Holztür eingelassen. Im Obergeschoss sind die Zimmer etwas größer und haben häufig ein Fensterchen zum Patio – hier waren allerdings auch mehrere Studenten untergebracht.

Innenhof, 1. Etage

Auf dem Weg zurück zum vereinbarten Treffpunkt ist es schon deutlich voller in den Souks. Eselskarren, Handkarren, Radfahrer und rasende Mopedfahrer drängen an Fußgänger*innen vorbei, so dass wir uns nur noch vorsichtig und am Rand der Gasse bewegen.

Uns reicht es mit den Stadt- Erlebnissen, dem Geräuschpegel und dem Gedränge. Anderntags machen wir uns auf in Richtung Essaiouira an die Atlantikküste, um ein paar Tage Urlaub zu machen.

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