Vom Dadestal in die Steinwüsten des Südens

Nach einer zweiten Nacht in den Bergen nahe Msemrir auf über 2200m Höhe fahren wir auf demselben Wege wieder zunächst durch das obere Dades-Tal, dann hinunter nach Boulmane.

Skoura

Über die Straße der Kasbahs geht es nach Osten bis kurz hinter Skoura, wo wir den Silvesterabend in aller Stille auf einem Campingplatz verbringen. In Fußnähe befindet sich die Kasbah Amridil, die ich zuvor nachmittags besuche. Sie wurde bereits im 17. Jahrhundert erbaut und authentisch renoviert. Für den Eintrittspreis von 40 MAD (3,80€) kann ich sie besichtigen und stoße auf eine amerikanische Familie mit einem privaten Touristenführer, die mich einlädt, mitzugehen. Ich habe Glück; der marokkanische Führer spricht außer Englisch nahezu fließend Deutsch und erklärt mir viele Details.

Innerhalb des quadratischen burgähnlichen Baus befindet sich ein palmenbewachsener, schattiger Innenhof mit einem kleinen Museum. Innerhalb des Bauwerks finden sich fünf Küchen, in denen jeweils mindestens ein Brotbackofen sowie diverse andere Kochstellen gebaut sind. Wenn ein Marokkaner eine Einladung für fünf Personen ausspricht, kommen mindestens 35 Personen, erklärt der Führer – Söhne, Töchter, Schwiegersöhne und -töchter, Cousinen, Cousins…. Deswegen seien viele Küchen mit vielen Öfen notwendig.

Die Wände dieser Kasbah sind 70cm dick und isolieren vor Hitze und Kälte deutlich besser als moderne Bauten. Die Wände bestehen aus gestampftem Lehm, Stroh und Kies. Das Gemisch wurde für den Bau in die etwa 70x150cm große Model direkt vor Ort auf der Mauer gefüllt und festgestampft. War das Gemisch angetrocknet, wurde die Model abgenommen und versetzt.

Model für einen Wandblock

Die Decken bestehen aus einigen Schichten Bambusrohr, die hier längs, quer und diagonal auf Palm- und Pappelstämme gelegt wurden. Darüber wurde Lehm-/Stroh-/Kiesgemisch geschmiert. Die Bauwerke sollen relativ witterungsbeständig sein, müssen aber nach starkem Regen ausgebessert werden. Auf unseren Wegen durch Marokko sehen wir sehr viele verfallene oder halb verfallene Kasbahs, da die Menschen heute lieber in moderneren Gebäuden leben. Das Schöne: Jede verfallene Kasbah wird irgendwann wieder in der Umgebung aufgehen und keine bleibenden Spuren hinterlassen.

Nach der Besichtigung gibt es ein leckeres selbst zubereitetes Silvester-Camper-Menü. Kein Böller, kein Feuerwerk stört hier die Nachtruhe.

Ouarzazate und Ait Ben Haddou

Am 1. Januar fahren wir nur wenige Kilometer weiter nach Ouarzazate. In dieser großen, recht modern wirkenden Stadt gibt es nicht viele Sehenswürdigkeiten, aber einen großen französischen Supermarkt, in dem wir unsere Vorräte für die nächsten Tage auffüllen, und eine Wäscherei, die unsere Wäscheberge bis zum Abend wäscht und trocknet. Egal ob Sonntag oder Feiertag, in Marokko ist (fast) immer alles geöffnet, und so können wir noch am Abend „sauber und satt“ weiter fahren nach Ait Ben Haddou.

Nach der Übernachtung auf einem extrem staubigen Parkplatz in Ait Ben Haddou besuchen wir die bekannte Wohnburg, in der insgesamt sechs Kasbahs auf einem Hügel zu einer kleinen Stadt zusammengeschmolzen sind. Seit 1987 gehört sie zum UNESCO-Weltkulturerbe, und um dem Massenansturm der Touristen zu entgehen, sind wir frühmorgens unterwegs.

Szenen bekannter Filme wurden in dieser Kulisse gedreht, so wie „Gladiator“, „Lawrence von Arabien“, „Game of Thrones“ und viele mehr. Eine der Kasbahs wird gerade renoviert. Von weiter oben haben wir den Wohnhügel mit seinen verwinkelten Gassen und den kleinen und großen Bauten gut im Blick.

An jeder Ecke werden Teppiche, Gemälde, Poster und Kleidung angeboten. Weniges wirkt noch ursprünglich, zu sehr haben der Tourismus und die damit verbundenen Ladengeschäfte überhandgenommen. Zudem liegt in jeder Ecke Müll und Bauschutt herum.

Von oben schaut man über die Anlage hinweg auf das breite Tal mit dem fast wasserleeren Oued und auf der anderen Seite auf die Berge.

Mittags, als wir die Stadt wieder verlassen, kommen große Busse mit Ladungen voller Menschen an, die alle dieses touristische Highlight sehen möchten. Wir fahren weiter nach Ouarzazate und biegen in Richtung Agdz auf die N9 ab. Einsam wird es hier, und die ausgewaschenen Bergreliefs mit den braunen, steinigen gefalteten Bergen beeindrucken uns nachhaltiger als Ait Ben Haddou.

An den „Wasserfällen“ von Tizgui etwas abseits dieser Strecke unternehmen wir eine kleine Wanderung durch den Palmenhain. Ein dünnes Rinnsal, über Betonröhren abgeleitet, wässert die Bäume – Wasserfälle gibt es zur Zeit nicht. Der große Parkplatz beitet sich als Übernachtungsplatz an – wir sind allein hier.

Agdz

In Agdz, einer Kleinstadt im Draatal, verbringen wir drei Nächte wir auf dem Campingplatz „a la Ferme“ inmitten einer Palmenoase, drei Kilometer außerhalb der Stadt. Hier ist es ruhig und angenehm, der Besitzer ist freundlich und außer uns gibt es erstmals auch einige deutsche Camper.

Camping a là ferme in Agdz

Erstmals können wir hier die Fahrräder abladen und nutzen, um zwei Touren zu machen. Die Straßen sind wenig befahren, anders als in den Gebieten, die wir bisher bereist haben. Dennoch oder gerade deswegen sind sie glatt asphaltiert. Welche Freude, endlich einmal wieder auf dem Fahrrad sitzen zu können! Langsam fühlen wir uns immer mehr „angekommen“ in Marokko.

Eine Tour führt nach Norden oberhalb des Wadi Draa. Der Draa ist ein sehr breiter und über 1000km langer Fluss – wenn er denn Wasser führt. Die Palmwälder entlang des Flussbettes sind noch grün, doch auch hier wirken die Büsche und Bäume sehr trocken. Es geht zunächst durch kleine Dörfer, in denen die Kinder und Frauen uns zuwinken, dann durch unbewohntere Gebiete.

Am nächsten Tag statten wir vormittags der Stadt Agdz und dem hiesigen Souk einen Besuch ab. Im Ort liegt ein kleines Ladengeschäft neben dem nächsten: Motorrad-Werkstätten, Gashandlungen, Haushaltswaren aller Art, Lebensmittel in Konservendosen. An einem kleinen Geschäft können wir Mandarinen und Äpfel sowie Möhren, Zucchini, einen Blumenkohl und Zwiebeln erstehen, viel mehr frisches Gemüse und Obst gibt es hier – wie andernorts auch – nicht. Die Marokkaner scheinen außer den genannten Gemüsen hauptsächlich abgepackte Süßigkeiten, Konserven, Fladenbrot, Couscous und Trockenfrüchte zu essen. Hinzu kommt, dass jede eingekaufte Ware zweimal in Plastik eingepackt ist. So können wir Mineralwasser im Zweierpack erstehen – allerdings sind die beiden Flaschen mit dicker Folie nochmals zusammen geschweißt. Käse und Butter sowie Sahne vermissen wir sehr – diese Köstlichkeiten gibt es normalerweise nicht.

Die Auslagen und Geschäfte in Agdz sind wenig ansprechend und sehen sehr staubig und schmutzig aus, das Motoröl fließt vor den Werkstätten ungehindert in die Straßengräben. Im Souk vor dem Ort verstärkt sich dieser Eindruck noch: Auf einer Stein- und Sandfläche präsentieren Händler ihre Waren direkt auf dem Boden oder auf Brettern. Alles ist von einer dicken Staubschicht bedeckt, ist schmutzig und wirkt gebraucht und alt: Wasserhähne, Küchenmaschinen, Kleidung, Polyesterdecken, Teppiche, Mopedzubehör, Hühner und anderes mehr. Dazwischen liegen Unrat, Plastiktüten und andere Abfälle.

Nachmittags radeln wir das Flussbett des Draa entlang, diesmal flussabwärts etwa 20 Kilometer nach Osten. Wo noch genug Wasser ankommt oder abgeleitet worden ist, wachsen Palmenwälder, dazwischen liegen kleine Felder für den Gemüse- und Weizenanbau. Über die schmale, gut ausgebaute Straße geht es durch einige Dörfer mit mehr oder weniger vollständigen alten Kasbahs und neuen Wohnhäusern.

Schließlich durchfahren wir das trockene Flussbett auf einer Sandpiste und setzen den Weg zurück auf einem Radweg an der N9 entlang fort. Dieser Radweg wird durch verschiedene Engstellen oder Hindernisse unterbrochen, ist aber insgesamt gut zu befahren. Der Blick hinüber zur anderen Flussseite zeigt noch einmal, wo wir zuvor entlang geradelt sind.

Durch die Steinwüsten des mittleren Südens

Weiter geht es am 5. Januar in Richtung Izmil auf einer wunderbar glatten und unbefahrenen R108 und schließlich nach Foum Zguid. Erste Dromedare stehen an den Straßenrändern und fressen die spärlichen Blätter der grünen Büsche und Bäume.

Bei Foum Zguid wird es immer trockener. Selbst die Palmen in den Oasen sind verdorrt, nur kleine Büschel frischer Blätter stehen noch. Auf der Nationalstraße nach Süden gleitet der Blick in Richtung der öden flachen Wüstenregion Erg Chegaga. Weite, steinige und staubige Flächen liegen vor, dann links von uns, rechts schimmern in weiterer Entfernung Gebirgszüge. Dromedarherden trotten langsam über die Staubwüste. Als einige Sanddünen auftauchen und die Gegend etwas hügeliger wird, beschließen wir, wenigstens noch eine Nacht in der Wüstenregion zu verbringen und fahren deswegen von der Straße ab, ein Stückchen die Piste entlang bis zu einem geeigneten Platz.

Am Morgen weckt uns ein Windgeräusch. Sand wirbelt vor der wolkenverhangenen aufgehenden Sonne.

Die Fahrt führt uns weiter an Salzseen, an tief ausgewaschenen sandigen Schluchten eines Oueds vorbei durch wüstenartige, extrem trockene Gebiete Richtung Tata.

Dromedarherden begleiten uns ein Stück des Weges, manche fressen von den stacheligen Arganbäumen, zwei Männchen kämpfen auf der Straße mit blutigen, schäumenden Mäulern und lassen sich auch durch unser Auto nicht stören.

In den kleinen Ortschaften hier im Süden Marokkos sieht man kaum noch unverschleierte Frauen, viele sind bis auf einen schmalen Sehschlitz vollständig verschleiert. Ich komme mir exotisch vor, als ich ohne Kopftuch etwas Obst und Gemüse an einem Stand kaufe. Auch hier umlagern neugierige Kinder sofort unsere Biene und uns, betteln aber, anders als zuvor auf unserer Reise, nicht.

Abseits der Straße R109 zwischen Imitek und Talbourte finden wir einen ebenen Nachtplatz. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Nebenstraße nach Tafraoute über Gebirgszüge des Antiatlas.

Hier im Süden Marokkos werden die Straßenoberflächen eben und sind immer weniger befahren. Auch Polizeikontrollen gibt es hier nicht mehr. Nur wenige Wohnmobile kommen uns entgegen, einige Mopedfahrer und marokkanische Fahrradfahrer auf ihren Drahteseln winken uns zu. Jetzt könnte man eine Radtour machen! Tom lädt sein Fahrrad ab und macht eine erste 30-Kilometer-Testfahrt, während ich mit Biene weiterfahre und ihn später wieder einsammle. Test bestanden!

Richtung Tafraoute

Über die nahezu autoleere Nebenstrecke nach Tafraoute wagen wir gemeinsam eine Radtour – was für eine Freude, sich in dieser herrlichen Landschaft wieder bewegen zu können! Steil bergauf bis auf eine Höhe von 1880m geht es. Einsam und still ist es hier oben, die Aussichten sind atemberaubend, die immer wieder unterschiedlich gefältelten Formen der Berge beeindruckend. Glücklicherweise ist es auch in dieser Höhe noch relativ warm, nur der Wind wird nachmittags stärker und kühler. Also wieder zurück zur Biene!

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