Nach Tafraoute, durch Schluchten und zum Atlantik

Tafraoute

Nach einer weiteren Nacht in der Stille des Sous-Massa im Anti-Atlas kommen wir in Tafraoute an. Die Stadt liegt in einem weiten Talkessel, der, anders als sonst in Marokko, von Granitfelsen und den von uns geliebten „Kullersteinen“ umgeben ist. Hier beziehen wir für drei Nächte einen stadtnahen Campingplatz, um zu duschen, Wasser zu tanken und um Radtouren zu machen. Ein erster Spaziergang in die kleine, lebendige Stadt vermittelt einen überaus positiven Eindruck. Deutlich weniger Müll liegt im Straßengraben, Straßen und Wege sind mit Palmen und Mandelbäumen bestanden, sogar Blumen schmücken einige Plätze. Die Häuser wirken wohlhabender und sind in den Farben der umgebenden Berge rosa-braun angestrichen, und deutlich weniger Bauruinen stehen in der Stadt und der Umgebung. 

Einen Basar durchstreifen wir, in dem es vor Allem Unmengen von bunten Schuhen gibt, die direkt in den kleinen Werkstätten hinter den Verkaufsständen hergestellt werden. Schals und Kleider, Gewürze, lebende und geschlachtete Tiere und vieles mehr könnten wir kaufen. Der Arganölpressung kann man zuschauen, wir kosten es und kaufen neben verschiedenen Gewürzen und Mandeln auch hiervon einen halben Liter.

Arganöl ist das kostbarste Öl der Welt und wird aus den Samenkernen der Früchte des Arganbaums hergestellt, der nur hier in Marokko wächst und offenbar sogar die ärgste Trockenheit übersteht. Das Öl ist als Speiseöl sehr gesund, wird jedoch auch für Kosmetikprodukte genutzt.

Arganbaum

Die Menschen in Tafraoute sind nicht aufdringlich, sondern viel zurückhaltender als in den Regionen, die wir bisher kennen gelernt haben. In Geschäften kann man schauen, ohne gleich angesprochen zu werden, und auch bettelnde Kinder umlagern uns nicht. So fühlen wir uns beim Gang durch den Ort deutlich wohler als anderswo.

Ins Ammelntal führt unsere erste Radtour, über ruhige, meist asphaltierte Straßen – auch wenn der Asphalt manchmal kaum noch zu erkennen ist.

Asphaltstraße?

Wie immer geht es bergauf und wieder bergab an der grandiosen Granitfelskulisse entlang. Viele neue große Wohnhäuser mit hohen Mauern säumen den Weg – die Ammeln sind ein Berbervolk, deren Angehörige vielfach das Tal verlassen haben, um in Großstädten oder im Ausland Geld zu verdienen. Mit diesem Geld bauen sie in ihrer Heimat ein Haus für den Rest der Familie.

Kurz vor Tafraoute fahren wir am „Tete du Lion“ vorbei, der gut erkennbar auf den hohen Felsen der Umgebung thront.

Anderntags radeln wir aus der Stadt heraus an riesigen rundgeschliffenen Felsen und dem hoch aufragenden Felsen „Chapeau du Napoleon“ vorbei zu den „Painted Rocks“.

Eine Sandpiste führt zu den Painted Rocks etwas abseits der Straße. Der belgische Künstler Jean Vérame hat 1984 diese Felsen mitten im Nirgendwo bemalt – angeblich hat er dafür 20.000 Liter Farbe benutzt, die nach altägyptischem Rezept hergestellt wurden. Inzwischen wurde die Farbe mehrmals erneuert  – allerdings sind es heute synthetische Farben. Etwas surreal wirkt diese Farbe inmitten der grau-braunen Felsen.

Auf dieser Rundfahrt sehen wir zum wiederholten Male einen der bemerkenswerten marokkanischen Friedhöfe – meist völlig unscheinbar, weil all der Schmuck fehlt, den wir aus Europa kennen. Oft sind für jedes Grab nur einige spitz aufragende Steine in den kargen Boden gesetzt, manchmal gibt es einen Stein mit dem Namen des Toten. Muslimische Gräber werden nicht geschmückt und nicht gepflegt, um die Ruhe der Toten nicht zu stören. Hier sehen wir erstmals Gräber, die etwas stärker ausgestaltet sind. Sogar einzelne Gräber sind mit besonderen Steinen eingefasst; das haben wir bisher noch nicht gesehen.

Einen hochinteressanten Vormittag erleben wir mit einem Händler, der uns beim Einkauf in Tafraoute anspricht. Er spricht relativ gut Deutsch, ein Anlass, ins Gespräch zu kommen. Zunächst ist der Mann uns beim Nachladen der SIM-Karten behilflich, sodass wir uns verpflichtet fühlen, ihn anschließend in einen Laden voller Tücher, Keramikteller und hübscher marokkanischer Souvenirs zu begleiten. Wie sich herausstellt, ist dies allerdings der Laden seines Onkels, eines 80jährigen Mannes, der sich unglaublich freut, als wir bei ihm einen Teppich, ein Berbertuch und einen Kaftan kaufen – vermutlich zu völlig überhöhten Preisen. Diesen freundlichen Alten so glücklich zu machen, entschädigt uns für jeden ausgegebenen Euro.

Danach müssen wir natürlich auch das Ladengeschäft unseres neuen Bekannten besuchen – zu unhöflich wäre es, sich jetzt schon zu verabschieden. Wie sich herausstellt, besitzt dieser ein von außen unscheinbar aussehendes Geschäft, das sich hinter einer der typischen hohen „Garagentüren“ versteckt, nach innen aber immer weiter verzweigt und mehrere große Räume umfasst. Hier breitet er wunderschöne marokkanische Teppiche, Antiquitäten und Schmuck vor uns aus. Wir können uns dem genialen Verkaufsgeschick nicht entziehen und kaufen nach langwierigen Verhandlungen zwei kleine Teppiche für Biene und zwei hübsche kleine Spiegel. Vermutlich haben wir viel zu viel Geld bezahlt, aber es hat enormen Spaß gemacht!

Gorges de Ait Mansour

Die Gorges de Ait Mansour ist nur etwa 30 Kilometer von Tafraoute entfernt, allerdings dauert die Fahrt über die kurvige Bergstrecke gut eineinhalb Stunden.

Durch dicht bewachsene dunkelgrüne Palmenoasen führt der Weg vorbei an ursprünglichen Dörfern inmitten einer kahlen, rotbraunen Berglandschaft. Das Flusstal muss häufig auf Betonfurten oder auf von Geröll überspülten, von der Kraft des Wassers zerstörten Straßenabschnitten überquert werden.

Auf einem der zahlreichen einsamen Nachtplätze an der Strecke übernachten wir, bevor es am nächsten Tag über die Berge noch einmal kurz zurück geht nach Tafraoute – zum Tanken und Einkaufen.

Grand Canyon de Maroc bei Aoukerda

Der Grand Canyon de Maroc liegt etwas weiter südlich an einem Abzweig von der Regionalstraße 107. Aoukerda ist das letzte Dorf an der neu angelegten Asphaltstraße in die Schlucht hinab. Schon vier Kilometer vorher findet sich ein Parkplatz zum Übernachten – den haben außer uns noch vier andere Camper entdeckt. Schon dieser Platz bietet eine großartige Aussicht in den „Canyon“, ebenso wie der Weg auf der Straße bis zum Dorf mit seinen hoch aufragenden rötlichen Felswänden und dem Fenetre de la Vie.

Blick vom Parkplatz in einen kleinen Teil der Schlucht
Nachtplatz

Anderntags durchwandern wir einen Teil der imposanten Schlucht. Einzigartig mit den geschätzt 200 bis 300 Meter hoch aufragenden, in der Sonne leuchtenden Felswänden und dem von Palmen und Sträuchern bewachsenen Flussbett ist sie. Nur wenige kleine Tümpel mit Brackwasser stehen in den tiefer gelegenen ausgewaschenen Kurven, ansonsten ist hier wie schon überall andernorts alles trocken. Die Wanderung über Kies, Geröll und Sand und durch verfilztes Buschwerk ist anstrengend, aber überaus lohnenswert.

Über Tiznit zum Atlantik

Da die Essensvorräte dringend aufgefüllt werden müssen und auch die Weinvorräte zur Neige gehen, müssen wir Amtoudi als Ziel (zunächst) auslassen und fahren über eine sehr schöne Serpentinenstrecke nach Tiznit, der nächsten größeren Stadt in etwa 100 Kilometer Entfernung. Kaum kommen wir in besiedeltere Gegenden, liegt wieder eine Unmenge von Flaschen, Dosen, Plastiktüten im Straßengraben, und Abhänge in der schönsten Umgebung werden als Müllkippen benutzt. Bisher haben wir noch nie eine Müllabfuhr gesehen, und die selten aufgestellten Müllcontainer werden offenbar, wenn sie voll sind, am Ortsrand ausgekippt. Die wunderschönen Landschaften Marokkos werden so – für Europäer*innen unverständlicherweise – stark verschandelt.

Alles gibt es in Tiznit zu kaufen – nur die Frage nach Wein irritiert die Muslime derart, dass sie oft mit völligem Unverständnis (sprachliches oder sachliches?) reagieren. Der sechste oder siebte Befragte erklärt schließlich hinter vorgehaltener Hand, dass es im Hotel Tiznit an der Bar Alkohol zu kaufen gibt. Wir fahren hin, und Tom ersteht schließlich – in Papier und schwarzer Tasche zweifach verpackt – vier Flaschen Rotwein für den überhöhten Preis von 10€ pro Flasche.

In Sidi Moussa d´Aglou, 18 Kilometer westlich von Tiznit am Atlantik, beziehen wir einen Platz auf dem angenehmen, begrünten, sauberen und nicht überfüllten Camping Aglou Plage. Hier bleiben wir drei Nächte und erleben den ersten Regen in Marokko – naja, ein paar Tropfen sind es, die den gelbgrauen Sand auf Biene in eine braungraue Schmiere verwandeln.

In Aglou gibt es eine bereits in die Jahre gekommene breite und sehr lange Strandpromenade, auf der sich kaum ein Mensch befindet. Etliche Neubausiedlungen, vermutlich Feriendomizile, sind in unterschiedlichen Stadien der Entstehung stecken geblieben. Feriengäste – nahezu ausschließlich französische – sieht man lediglich auf unserem Campingplatz.

Die Strandstraße nach Mirleft im Süden ist wenig befahren und wird mit den Fahrrädern erkundet. Abschnitte mit schönem Sandstrand wechseln sich mit riesigen, kilometerlangen wüstenartigen Stein- und Staubfeldern ab. Ab und zu sieht man in diese Steinwüsten hineingebaute (Ferienhaus-)Siedlungen, abgesperrt durch eine Schranke, offenbar kaum oder gar nicht bewohnt, in großen Teilen auch seit Jahren im Bau und schon wieder dem Verfall ausgeliefert. Bauarbeiter werkeln vereinzelt an einem Eingangstor, einem Balkon oder mit einem Bagger an einem Graben. Ob hier niemand Ferien machen will? Oder ob man vergessen hat, bei Planung und Bau zu bedenken, dass auch das Wasser für Duschen und Pools irgendwoher kommen muss? Die Anlagen wirken meist unattraktiv wegen des Bauschutts und fehlender Begrünung.

Häufiger als Neubauten sind die vereinzelten alten Hütten der ursprünglichen Bevölkerung zu sehen, meist mit einem Zaun oder einer Mauer umgeben. Eine große Herde Dromedare bewegt sich gemächlich zwischen Straße und Meer.

Keine Gegend, um Urlaub zu machen, entscheiden wir, und fahren 50 Kilometer weiter nach Süden, nach Sidi Ifni, um dem südlichen Atlantik eine weitere Chance zu geben.

Frei stehen ist an diesem Küstenabschnitt kaum möglich, wenn man nicht weithin sichtbar in der staubigen Stein- und Sandwüste stehen will. Der gewählte Campingplatz ist heruntergekommen, beengt und schmutzig, die Stadt ist uns zu touristisch. Nach einem ausgiebigen Strandspaziergang entscheiden wir: Die marokkanische Atlantikküste ist zumindest in diesem Teil nichts für uns, morgen geht´s wieder ins Landesinnere.

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