Einmal Durmitorgebirge und zurück

17. Oktober

Für den heutigen und die nächsten vier Tage ist im Bergland Montenegros sonniges Wetter und Temperaturen bis 13 Grad gemeldet. Wir wollen diese Tage nutzen, um die Gegend im Norden und Nordosten rund um das Durmitorgebirge kennen zu lernen.

Über eine gut ausgebaute Verbindungsstraße fahren wir über das Orjen- Gebirge Richtung Niksic. Aus der Höhe können wir einen großen Teil der Bucht von Kotor noch einmal anschauen. An jeder Haltebucht wird gehalten, die Ausblicke sind immer noch beeindruckender.

Unmittelbar vor die Füße darf man allerdings an keinem Rast- und Halteplatz sehen, trotz etlicher herumstehender Müllcontainer sammelt sich hier achtlos weggeworfener Müll, von Plastik über Papier und Pappe bis zu Exkrementen.

Um der offiziellen Bezeichnung „Ökologischer Staat“ gerecht zu werden, muss das Land wohl noch eine Menge Energie in die Erziehung und Überzeugung der Menschen stecken, damit diese das entsprechende Umweltbewusstsein entwickeln und sich entsprechend verhalten.

Auf der Fahrt nach Norden wechselt das Grau-Weiß der Berge des Orjen langsam in ein Grau-Grün, das die Hochebene prägt, und dann in ein Gelb-Rot, das uns anzeigt, dass hier im hoch gelegenen Landesinneren der Herbst Einzug gehalten hat. Kurz vor Niksic kann man die stark geschrumpften Wasserflächen der Stauseen erkennen.

Später sehen wie deutlicher landwirtschaftlich genutzte Anbauflächen und Viehwirtschaft.

Über die E 762 erreichen wir das Kloster Piva. Es ist von 1970 bis 1982 wegen des Stauseebaus an diesen Ort transferiert worden. 1260qm Ikonen sind hierbei entfernt, restauriert und wieder angebracht worden. Von außen wirkt die dreischiffige Klosterkirche unscheinbar – wenn man den Innenraum betritt, sind Farbenpracht und Bildgestaltung, die Intarsienarbeiten an Leuchter und Stuhl beeindruckend und einzigartig.

Von der Straße aus kann man hier einen Blick auf einen Teil des Piva-Stausees werfen, den wir als Nächstes besuchen wollen.

In Pluzine fahren wir von der Durchgangsstraße ab und parken zunächst in der Stadt, die sich als eine Ansammlung heruntergekommener Mehrfamilienhäuser aus den 70er oder 80er Jahren erweist – mit einer noch im Bau befindlichen, golden in der Sonne leuchtenden serbisch- orthodoxen Kirche.

Am interessantesten finden wir die riesigen Holzstapel, die sich vor jedem Mehrfamilienhaus türmen. Offenbar wird in jeder Wohnung mit Holz geheizt, und hier bereitet man sich emsig für die kalte Jahreszeit vor. Die Sonntagsbeschäftigung der Männer scheint es zu sein, emsig Holz zu sägen, zu hacken und zu spalten. Der Winter wird in dieser Gegend kalt und lang!

Wir übernachten am nächstgelegenen Arm des Piva- Stausees und stellen Biene am darauf folgenden Morgen in Pluzine ab. Es ist noch sehr kalt, der Himmel wolkenverhangen als wir losradeln: Dünnes T-Shirt, dickes T-Shirt, dünne Jacke, dicke Jacke, Weste, Handschuhe…

Der Stausee ist so leer, dass Reste früherer Wohnhäuser und abgestorbene Baumstämme herausschauen. Nach einigen Kilometern am See entlang führt die gut asphaltierte, kleine Straße beständig bergauf. Entsprechend sind die Ausblicke, die sich uns bieten, immer spektakulärer. Und der Himmel wird immer blauer, die Wolken ziehen sich hinter die Berge zurück. Nach und nach kann man eine Jacke nach der anderen ausziehen.

Der Herbst leuchtet uns in den schönsten Farben entgegen. Hier gibt es nahezu ausschließlich Laubbäume, die, je höher wir kommen, vor den weiß-grauen Felsen vereinzelte Lichtpunkte bilden. Die Ruhe hier oben ist allumfassend, lediglich ein letztes Insekt summt, dann herrscht wieder meditative Stille.

Als wir oben auf einer kleinen Hochebene rasten, sind nach 21 Kilometern 50% der Gesamtakkuleistung verbraucht, ein Rekord. Nach der Rast wird der Weg, der sich nun „befestigte, aber nicht asphaltierte“ Straße nennt, schwieriger zu befahren. Vor Allem bergab werden Rücken, Sitzfleisch und die Handgelenke ordentlich beansprucht.

Vereinzelte Bergbauern und Holzarbeiter wundern sich vermutlich über Radfahrer in dieser abgelegenen Gegend und grüßen freundlich. Für uns geht es 12 Kilometer auf dieser Piste hinunter, und wir sind völlig durchgerüttelt und froh, als wir wieder Asphalt unter den Rädern haben.

Die letzten Kilometer zurück zu unserem Standort werden wieder ordentlich kalt – die Jacken werden nach und nach wieder angezogen, und als wir in unserer Biene sitzen, freuen wir uns über eine gut funktionierende Heizung. In Pluzine, diesem wenig ansprechenden Ort, wollen wir nicht übernachten, und so fahren wir noch einige Kilometer weiter, zunächst über die Brücke, die einen Arm des Stausees überspannt, dann die Panoramastraße P14 hinauf. Nach den Highlights auf unserer Fahrradtour erwarten uns bei der Bergauffahrt noch mehr beeindruckende Ausblicke auf den Piva-Stausee.

Die Fahrt geht durch mehrere Tunnel, die selbst Spitzkehren überwölben und in denen es so stockdunkel ist, dass man trotz der Scheinwerfer kaum fünf Meter weit sehen kann. Glücklicherweise kommt uns nie ein Auto entgegen. Spannend und ein wenig beängstigend, da hindurch zu fahren!

Nach einigen weiteren Kilometern bergauf wird es langsam dunkel. Wir suchen uns eine ebene Fläche, ein wenig abseits der Straße, und haben eine sehr ruhige Nacht.

19. Oktober

Früh geht es weiter die Panoramastraße hinauf in Richtung des Durmitor- Gebirges, an welchem wir heute die Südflanke abfahren. Auf der Hochebene vor Trsa und danach bis Pisce halten wir immer wieder an und schauen auf die Gebirgskette südlich unserer Strecke. Glücklicherweise herrscht hier kaum Verkehr.

Schließlich eröffnet sich der Blick auf das Durmitor- Gebirge mit den höchsten Bergen Montenegros.

Es werden wohl an die fünfzig Fotos, die jede/r macht, und das Ein- und Aussteigen aus dem Auto ersetzt jede Wanderung. Bei jedem Halt verharren wir minutenlang in der absoluten Stille, die hier oben herrscht, und können uns kaum lösen von dieser meditativen Einsamkeit. Was für ein schönes Land!

Schließlich ist diese absolut beeindruckende Fahrt zu Ende – wir suchen uns ein Quartier in Zabljak. Plötzlich hat sich die Landschaft völlig verändert: An die Stelle von Felsen und Macchia treten Fichten, und ich fühle mich plötzlich in ein deutsches Mittelgebirge versetzt – keine freudige Vorstellung.

Zabljak liegt auf etwa 1450m und ist damit ist die höchstgelegene Stadt des Landes. Sie hat zwar nur etwa 2000 Einwohner, ist jedoch Ausgangspunkt für Wintersportler und Wanderinnen, und in den letzten Jahren sind wohl unzählige Unterkünfte für diese Gäste entstanden, viele auch gerade im Bau. Wir stellen Biene auf dem Stellplatz Mlinski Potok ab und werden freundlich mit einem Schnaps und starkem türkischen Kaffee begrüßt.

Da es erst früher Nachmittag ist, laufe ich noch eine Runde um den nahe gelegenen Schwarzen See. Der Spaziergang wird allerdings nach etwa 2 Kilometern zu einer Bergwanderung, es geht stellenweise steil bergauf und bergab, über feucht- rutschiges Felsgestein und dicke Wurzelstöcke.

Zum Abschluss des Tages laufen wir noch eine kleine Runde durch die Siedlung und fotografieren einige der zahlreichen neu entstandenen Ferienhäuschen und die älteren kleinen Häuser. Da praktisch jedes Haus zumindest mit einem neuen Dach versehen ist, kann man oft nicht unterschieden, was Wohnhaus und was Ferienhaus ist.

Es wird eine ruhige Nacht, und am Morgen werden wir vom ersten Rauhreif überrascht. An den Fenstern blühen Eisblumen.

Blick aus dem Fenster bei erstem Morgenlicht

Da es schnell wärmer wird, packen wir die Taschen für eine Fahrradtour an der Nordseite des Durmitor-Gebirges entlang. Wieder müssen wir uns warm einpacken mit mehreren Shirts und Jacken und zwei Hosen übereinander sowie Handschuhen.

Der Weg erweist sich als lange nicht so schön wie der Weg unserer letzten Fahrradtour. Es geht zunächst acht Kilometer durch den Ort Zabljak und die Berge hinauf durch dichten Nadelwald, bis die Baumgrenze erreicht ist. Bis hier versperren die Fichten die Aussicht und lassen kaum wärmende Sonnenstrahlen durch.

Etwas überrascht stehen wir vor einem Sessellift, der im Winter die Schifahrer/innen nach oben bringt. Eine Piste erkennen wir nicht, doch angeblich soll es hier mehrere Schipisten geben.

Nun wird der Weg gefälliger, die Aussichten schöner. Bis auf 1900 Meter geht es hinauf. Nur dort, wo die Sonnenstrahlen uns erreichen, wird es warm. Hier oben liegt (noch oder schon?) weiß- sauberer Schnee an den Stellen, wo keine Sonne hinkommt. Die asphaltierte schmale Straße wird in den Kurven manchmal rutschig vom angetauten Eis, und wir kehren nach 15 Kilometern um.

Auf dem Rückweg können wir die unzähligen verstreuten Ferienhaussiedlungen erkennen. Eine zersiedelte Landschaft, nicht schön, sondern durch schnell und scheinbar recht planlos hochgezogene Bauten aller Art zerstört – Vieles ist noch im Bau. Am Ortsrand kommen wir an einer Schrotthalde vorbei, Waschmaschinen, Autos und anderes liegt direkt an der Straße, die in den Ort hineinführt.

Als wir wieder am Stellplatz ankommen, biegt gerade vor uns der Ogli-Oman ein, den wir schon an der kroatischen Küste getroffen haben. Da können wir noch miteinander einen leckeren Kaffee in der Sonne trinken und uns in den letzten Strahlen ein wenig aufwärmen!

21. Oktober

Gegen 10 Uhr brechen wir auf. Der Wetterbericht meldet aufkommenden Wind und Wolken, und ab morgen soll es zwei oder drei Tage regnen – und in dieser Höhe wird der Regen als Schnee fallen.

Wir fahren zunächst noch nach Osten zur Tara- Brücke. Sie ist 365 Meter lang und wurde 1940 in Betrieb genommen. Zu dieser Zeit war sie eine der weltweit größten Straßenbrücken aus Stahlbeton. Als wir darüberlaufen, vibriert sie bei jedem LKW, und wir schauen skeptisch auf den abplatzenden Beton, der die Stahlarmierung bedecken sollte. Lieber spazieren wir noch zum Aussichtspunkt und schauen uns die Brücke von der Seite an.

Die Tara, auf der in den Spätfrühlings- und Sommermonaten Hochbetrieb herrscht, zeigt sich ruhig, wasserarm und wunderbar grün leuchtend. Nur die vielen Rafting- Stationen und „Eco- Kamps“ zeugen vom sommerlichen Betrieb. Auf dem weiteren Weg die Tara entlang erhaschen wir noch ein paar Blicke auf den Fluss und fahren dann weiter auf der E65 Richtung Podgorica. Es geht immer wieder bergauf und bergab, durch Schluchten und an Hängen entlang. Montenegro ist ein gebirgiges Land! Am Kloster Moracha legen wir noch eine kleine Besichtigung ein. Wieder bestaunen wir die vielen Fresken, den Kronleuchter und die Intarsienarbeiten in den Türen. Eine alte Frau erklärt mir in recht gutem Deutsch die Bedeutung einzelner Bilder und schenkt mir zum Abschied ein Heiligenbildchen.

Einen Schlafplatz finden wir einige Kilometer weiter auf einem allein stehenden Gehöft auf einer Wiese nahe der Durchgangsstraße – und doch eine lange Anfahrt entfernt. Diese Anfahrt ist abenteuerlich, und zum ersten Mal macht sich Bienes Allrad- Antrieb bezahlt. Der Schotterweg ist gerade breit genug, um nicht den Steilhang hinunterzufahren, die Äste hängen gerade hoch genug, um durchzukommen. Ein altes Ehepaar und ein etwas jüngerer Mann begrüßen uns freudig mit einem – oder zwei, drei – selbstgebrannten Apfelschnäpschen und erzählen uns freudig mit ein paar Brocken Deutsch – Englisch und ganz viel Montegrinisch aus ihrem Leben. Wir probieren köstliche in Honig eingelegte Feigen und Walnüsse und ich darf mir in der Küche ein frisch gebackenes duftendes Fladenbrot mitnehmen und dazu Sir von der eigenen Kuh. Wenn das keine Gastfreundschaft ist!

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