Von Vathia aus führt uns die Küstenstraße weiter nach Norden. Leider bläst der Wind immer noch stark, zudem sind viele dunkle Wolken am Himmel. In der Bucht von Gerolimenas halten wir auf einem Parkplatz, der, wie der gesamte Ort, genau in einem Nord- Süd – Windkanal liegt. Anstatt hier Rad zu fahren, entschließe ich mich, hier eine Wanderung auf das Hochplateau zu machen und anschließend die steile Wand vom Hafen hinauf auf das Plateau zu klettern.
Die Felswand ragt etwa 80m senkrecht neben der Bebauung auf, und es dauert eine Weile, bis ich auf dem Serpentinen- Sträßchen die Ebene erreicht habe. Hier schweift der Blick über Grassoden, Steinmauern und Macchia bis hin zum nächsthöheren Plateau. Fleißige Menschen haben in mühsamer Kleinarbeit einen kleinen Teil der Steine aufgelesen und zu mehr oder weniger stabilen Mauern aufgeschichtet. Alles wirkt Grau in Grün, die Gegend ist karg, felsig, baumlos. Die wenigen Häuser sind wie die Landschaft: grau, hart, unnahbar. Vermutlich sind die Menschen ähnlich. Ich freue mich über die wenigen Farben, die aus dem Grau-Grün hervorlugen: blühender Stechginster, ein paar farbige Anemonen zwischen den Gräsern, hier und da ein paar Wachsblumen, Wolfsmilch und kleine Narzissen.
Auf dem asphaltierten Sträßchen kann man beobachten, wie die Natur sich nach und nach ihren Raum zurückerobert: Dort, wo kaum Autos fahren, wachsen Pflanzen in winzigen Ritzen und brechen die Oberfläche auf.
Hinter dem Dorf Viper geht der Wanderweg, der auf meiner Wander- App verzeichnet ist, in wildes Gestrüpp über. Ich versuche noch einige hundert Meter hindurch zu laufen, ergebe mich aber dann dem stacheligen Strauchgewächs und kehre um.
Hinter dem Dorf entdecke ich einen kleinen Friedhof mit Grabhäusern, in denen jeweils mehrere Tote bestattet worden sind. Die Häuschen sind mit Tür, manchmal auch mit kleinen Fenstern, Vorhallen, Zinnen ausgestattet, die sie wie Miniatur- Wohnhäuser wirken lassen. Solche Grabhäuser werde ich in den nächsten Tagen auf der Mani noch häufiger sehen. Ein Grund dafür könnte der felsige Untergrund sein, in dem man keine Grabstellen ausheben kann.
Auf dem Rückweg scheint in der Ferne ab und zu blauer Himmel durch die Wolken, nach Norden hin erheben sich die schneebedeckten Gipfel des Taygetos- Gebirges. Die Wohntürme der Mani sind in den Ansiedlungen deutlich auszumachen, jedes Dorf ist mit etlichen Wohntürmen ausgestattet.
Wieder in Gerolimenas angekommen, klettern Tom und ich gemeinsam den steilen Pfad an der Felswand hoch über den Ort hinauf. Die Aussicht über den kleinen Ort und die Bucht wird immer grandioser, zudem belohnt uns die Sonne für die Anstrengung.
Nachmittags fahren wir noch ein paar Kilometer weiter bis an einen wunderbar ruhigen Ort in Nähe der winzigen Halbinsel Tigani, hinter einem Hügel und abseits der Straße, nur mit Allrad zu erreichen. Hier bleiben wir zwei Nächte und genießen die abendliche und nächtliche Stille.
Tagsüber machen wir eine kleine Fahrradtour in der näheren Umgebung. Wie schon am Tag zuvor ist die Umgebung wenig ansprechend, grau- grün ziehen sich die kargen, mit Steinen und Stachelgewächs übersäten Flächen durchs Tal und an den Berghängen entlang, ab und zu sieht man die größeren grauen Flecken der Dörfer, die aus den Steinen der Umgebung gebaut sind. Vielleicht ist unser Unmut aber auch dem trüben windigen Wetter geschuldet.
Wir entdecken einen kleinen Hafenort mit daneben liegender Steilküste…
…und eine Kirchenruine, in die eine kleine Kirche hineingebaut wurde.
Den Rest des Tages verbringen wir an unserer Landspitze mit ausruhen, lesen, faulenzen, und auch am nächsten Morgen brechen wir nur langsam und gemütlich die Zelte ab.
Weiter geht es an der Westküste der Mani nach Norden, nur ein paar Kilometer, nach Nikandreio, weil unser Reise- und Wanderführer hier eine kleine Wanderung vorschlägt, und wir diesen Vorschlag aufgreifen wollen. Auf dem Dorfplatz des Ortes halten wir und können am Brunnen an der kleinen, Mani- typischen Kirche gleich frisches Wasser tanken.
Kirchen dieser Art, einstöckig, geduckt, mit winzigen Fensteröffnungen und einem Glockenturm in der hochgezogenen Giebelwand haben wir hier schon oft gesehen. Sie sind klein und oft schmucklos, dafür gibt es viele – in jedem Dorf mindestens eine, oft mehrere. Aufwändiger gestaltete Minikirchen schmückt ein Steinmuster, oder die Fenstereinfassungen sind am Glockenturm auf besondere Art gemeißelt. Manchmal gehören die Kirchen zu einem Gehöft mit Wohnturm dazu.
Wir laufen über eine schmale, asphaltierte Straße, die von aufgeschichteten Steinmauern begrenzt wird. Hier gibt es auch saftig grüne Grasflächen mit gelb blühenden Blumen und Olivenbäumen. Allerdings sind dies andere Oliven als wir sie bisher gesehen haben: Viele Stämme wachsen zu einem Baum – es sieht eher aus wie ein Strauch – empor und bilden eine Krone, an der winzig kleine Olivenfrüchte hängen. Auch die Oliven wirken in dieser kargen Gegend so, als ob sie sich mühsam das Leben erkämpft haben, kleiner, verkrüppelter, spärlicher. Stechginster, wilder Salbei und Oregano sowie riesige Kakteen säumen den Weg.
Am Wegesrand treffen wir auf einen beeindruckenden verlassenen Marmorsteinbruch, in dem noch einige glatte Marmorplatten, riesige Blöcke und Spuren von Absprengungen von den Arbeiten zeugen. Eine weitere kleine typische maniotische Kirche liegt am Weg, der an der Küste entlang wieder zurück zum Parkplatz führt.
Nach dem Spaziergang fahren wir weiter nach Areopolis, mit etwa 800 Einwohnern der bedeutendste Ort der Region und mit den gepflegten und gut restaurierten Häusern recht attraktiv. Hier schlendern wir durch die belebten Innenstadtgassen, es ist der 6. Januar und damit Feiertag in Griechenland, scheinbar sind alle Griech/inn/en unterwegs, gehen essen oder bummeln. Sehr viele Menschen tragen hier auch draußen Masken zum Schutz vor Corona.
Areopolis hat während des griechischen Freiheitskampfes von 1821 eine bedeutende Rolle gespielt. Am 17. März 1821 riefen die Maniaten am Hauptplatz der Stadt den Beginn der Revolution aus, und seither wird von den Bewohnern von Areopolis alljährlich der Jahrestag des Aufstands gegen die Türkenherrschaft gefeiert. Petros Mavromichalis, genannt Petrobey, wurde hier ein Denkmal gesetzt, es gilt wohl seinem Aufruf zum Freiheitskampf der Griechen.
Nördlich von Areopolis wird die Landschaft freundlicher und weniger abweisend: Anstelle von Steinen und Macchia säumen Laubbäume und Zypressen den Weg, und die Olivenbäume werden wieder dicker, einstämmig und tragen große Oliven. Aus der Gegend um Kalamata, auf das wir uns nun zubewegen, soll das angeblich beste Olivenöl Griechenlands kommen. In den Dörfern sieht man kaum noch Wohntürme, statt dessen Häuser mit roten Ziegeldächern.
Bevor wir Kalamata erreichen, bleiben wir für zwei Tage in Kardamili, etwa 35 Kilometer vor Kalamata gelegen. Hier können wir am Eingang zur Viros- Schlucht parken, nah zur Stadt und zudem am Beginn der Wanderung durch die Schlucht.
Tom fährt lieber Rad, während ich die Viros- Schlucht durchwandere. Drei Kilometer geht es zunächst durch das unwegsame trockene Flussbett, Geröll und Felsabbrüche werden mit der Zeit immer größer und müssen zuletzt mühsam überklettert werden.
Ein kleiner Abstecher erlaubt einen Blick auf das alte Kloster Likaki, dann geht es weiter. Links und rechts ragen die roten und grauen Felswände auf, durchbrochen von kleineren und großen Höhlen im Gestein. Die Schlucht wird nicht nur unwegsamer, sondern schmaler und dunkler und wirkt auf mich ein wenig unheimlich.
Nachdem das kleine Kloster Sotiros hinter mir liegt, verlasse ich die Schlucht und wandere den Berg hinauf, zurück Richtung Kardamili, allerdings drei Ebenen höher als auf dem Hinweg.
Auf der gegenüberliegenden Seite entdecke ich, kurz nachdem ich die kleine Kirche Agia Sofia und dann über den alten Eselspfad wieder Kardamili erreiche, ein abgerutschtes Haus.
Das war eine ausgesprochen anstrengende Wanderung für mich, und als ich gerade wieder an unserer Biene eintreffe, steht dort der rote Ford Ranger mit Absetzkabine, der einem lebendigen und interessanten Paar aus dem Allgäu, Bene und Anni, gehört, mit dem Tom und ich uns gegen Abend noch eine Weile unterhalten.
Am Morgen des nächsten Tages machen wir noch einen kleinen Rundgang durch die „Old Town Kardamyli“, die aus einer befestigten Wohnanlage des Troupakis- Mourtzinoi- Clans besteht und am Ende des 17. Jahrhundert gebaut worden ist. Sie ist zum Teil mit EU- Geldern aufwändig restauriert worden, zum anderen Teil verfallen die Gebäude mehr und mehr.
Die Anlage besteht aus einem für die Mani typischen Wohnturm, einer Befestigungsmauer und einigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, unter Anderem auch einer Ölmühle. Leider sind die Öffnungszeiten „nach Belieben“, wir stehen vor verschlossenen Türen – schade.
Auch die Kirche Agios Spiridon innerhalb der Wohnanlage ist sehenswert, insbesondere die Öffnungen im Glockenturm sind mit schönen Ornamenten verziert.
Nachmittags setzen wir die Reise Richtung Kalamata auf der Küstenstraße fort. Wie andere Küstenstraßen zuvor schlängelt sich auch diese in vielen Serpentinen bergauf und bergab, und wir werden die Ausblicke nie Leid. Heute allerdings hängen viele Regenwolken über der Mani.
8.-12. Januar
In Kalamata stellen wir uns mit Biene im Yachthafen direkt vor das Gebäude der Marina. Niemanden scheint unsere Anwesenheit an diesem Platz mit bester Aussicht auf eine große Zahl von Segelyachten und Katamaranen zu stören. Wir sind in dieser 70.000 Einwohner zählenden Stadt, um verschiedene Erledigungen zu machen: Wäsche waschen lassen, Apotheke aufsuchen und einen Termin für die 3. Impfung machen, um diesen, wenn möglich, auch wahrzunehmen. Außerdem müssen wir in einen bikeshop, um Zubehör zu kaufen, und wollen etwas „Stadtluft“ schnuppern und bummeln gehen.
Nachts regnet und gewittert es stundenlang, wir sind froh, sicher im Hafen zu stehen.
Tom fährt mittlerweile sehr gekonnt durch die oft zugeparkten Straßen und schmalen Gassen und laviert sich überall durch. Parken können wir genauso gut wie die Griechen in zweiter Reihe. So müssen wir die drei Wäschesäcke nicht zwei Kilometer bis zur Wäscherei tragen.
Am Nachmittag machen wir in der Ebene um Kalamata eine kleine Radtour, haben aber bald die Nase voll: Hier gefällt es uns nicht. Es ist flach, es hat schlechte Wege durch riesige Schilfwälder, die heute auch noch voller Schlamm und Wasser sind und die an die Maisfelder an der Donau erinnern, und es riecht intensiv nach Olivenverarbeitung. Der Qualm der Fabriken hat sich als Dunstschleier in das ganze Tal gelegt. Auch der Strand ist dreckig, es liegt Müll und viel abgestorbenes Schilf herum, einen „Badestrand“ in unserem Sinne gibt es nicht – verwunderlich bei so vielen Menschen, die hier wohnen.
Der Besuch in der Apotheke offenbart, dass im KEP in Leonidio unsere Erst- und Zweitimpfung noch nicht im griechischen System registriert wurde. Nach Rücksprache der hilfsbereiten Apothekerin mit dem Krankenhaus bekommen wir dennoch einen Termin für eine weitere Impfung am morgigen Abend. Wir nutzen die Wartezeit und fahren nach Messene, etwa 30 Kilometer nordwestlich von Kalamata gelegen. Die Nacht verbringen wir auf dem Parkplatz in strömendem Regen, bei jaulenden Schakalen und bellenden Hunden. Morgens klingt der Regen ab, und bei 8 Grad treten wir in den Archäologiepark ein – als einzige Gäste an diesem Vormittag.
Messene ist eine der bedeutendsten Ausgrabungsstätten auf dem Peloponnes, und obwohl wir eigentlich keine alten Steine mehr anschauen wollten, sind wir beeindruckt. Das antike Theater ist zwar deutlich kleiner als dasjenige in Epidauros, aber gut erhalten. Wir hüpfen über die Wasserlachen, springen über Sturzbäche und laufen durch sumpfige Wiesen, um das Gelände zu erkunden. Überall rauscht, gluckert und fließt es. Ob das vor gut 2000 Jahren bei Griechen und Römern, die hier gebaut haben, auch manchmal so war? Jedenfalls zeugen Brunnenhaus und Kanäle von viel fließendem Wasser.
Gut vorstellbar sind auch die Anlagen der Thermen mit Hypokaustenheizung und Zisternen, die riesige Tempelanlage und das noch riesigere Stadion mit den imposanten und recht vollständig erhaltenen Säulenumfriedungen. Von den Zuschauerrängen kann man durch das gesamte Tal kilometerweit bis zum Meer sehen.
Nach dem Besuch der Ausgrabungsstätten laufen wir noch die Straße hinaus aus dem kleinen Ort Mavromati, um einen gut erhaltenen Teil der griechischen Stadtbefestigung zu bestaunen. Riesige Steinblöcke sind hierfür behauen und millimetergenau aufeinander gestapelt worden. Die Stadtmauer stammt aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. und war einst neun Kilometer lang. Heute ist das Arkadische Tor der wohl imposanteste Teil, auch einige Wehrtürme sind noch zu erkennen.
Nach dem Besuch Messenes machen wir uns auf den Rückweg zum Krankenhaus, das einige Kilometer außerhalb Kalamatas liegt, und sind überpünktlich dort. Zunächst möchte uns in der Impfstation niemand impfen, da wir laut unseren griechischen Papieren ja die Erst- und Zweitimpfung noch nicht haben. Nach einigem Hin und Her mit Handy-Apps und viel Gestik und Mimik – Englisch sprechen die Ärzte und Krankenschwestern nur minimalistisch – bekommen wir dennoch unsere Boosterimpfung. Allerdings gibt es keinerlei Bescheinigung für uns, was uns nicht nur ein wenig verunsichert. Den Äußerungen des medizinischen Personals entnehmen wir, dass wir für die Bestätigung aller Impfungen, auch dieser 3. Impfung, nochmals ins KEP in Kalamata müssen. Die Bürokratie lebe hoch!
Nochmals übernachten wir auf dem uns inzwischen liebgewordenen Marina- Parkplatz und suchen am nächsten Morgen mit verhaltenem Optimismus das KEP auf, eine Art Bürgerbüro. Zu unserem großen Glück geraten wir hier an eine freundliche Mitarbeiterin, die Englisch spricht und unser Anliegen innerhalb einer halben Stunde nicht nur bearbeitet, sondern für die vollständige Registrierung aller Impfungen im griechischen System sorgt und uns eine entsprechende Bescheinigung ausdruckt.
Ein großer Stein fällt uns vom Herzen, denn nun sind wir bereit für die Rückfahrt mit Grenzübergängen und Fähren, wie, wann und wo wir wollen.
Doch erstmal geht es weiter auf dem Peloponnes – dem letzten, kleinen Finger entgegen.