8. bis 13. August
In Haapsalu parken wir an der Bischofsburg, einer Ordensburgruine mit einer riesigen Domkirche, über deren Ausmaße wir staunen. Veranstaltungen finden hier zur Zeit nicht statt, aber es wird fleißig an Podesten gewerkelt. Der Eintritt in das Burgmuseum ist uns mit 14€ pro Person zu teuer, doch auch beim Laufen um die Ruine und in der Vorburg sehen wir genug.
Zum wiederholten Male fällt uns auf, dass es in Estland üblich ist, immer in besonderer Weise für das Kinder- Vergnügen zu sorgen – selbst hinter der Burg ist ein attraktiver Kinderspielplatz.
Anschließend erkunden wir die kleine Stadt. Es gibt einen hübschen Ortskern mit Cafés und vielen Souvenirläden. Zur Promenade geht man in wenigen Minuten zum „Kuursaal“, einem sehr schön restaurierten Holzgebäude an der Ostsee.
An der Promenade, die sich links und rechts des Kursaals erstreckt, liegen noch mehrere schön restaurierte Gebäude, vor Allem Hotels. Als wir zum Alten Bahnhof laufen, kommen wir durch die Straßen mit den (noch) nicht herausgeputzten Gebäuden, so manches wohl noch im Zustand der Sowjetzeit – was durchaus seinen Charme hat.
Das Bahnhofsgebäude in Haapsalu wurde 1909 mit Unterstützung des russischen Zaren gebaut, denn Haapsalu war ein beliebter Ferienort für die russische Oberschicht. Der Bahnsteig war damals mit 214m der längste Bahnsteig Europas. Noch heute ist das Gebäude sehenswert. Auf den Gleisen stehen historische Zugmaschinen und Waggons.
Das nächste Reiseziel ist Rummu karjäär. Der grünblaue Rummu- See liegt direkt neben der Abraumhalde des ehemaligen Tagebaus Rummu. Hier wurden vor Allem Gefängnisinsassen des direkt benachbarten Gefängnisses Murru zum Abbau des Kalksteins und Marmors eingesetzt. Nach der Schließung des Gefängnisses und der Abbauhalde und damit auch dem Abschalten der Grundwasserpumpen stieg das Wasser derart, dass die Gebäude zum Teil im Wasser versanken.
Heute gibt es auf dem Gelände einen Strand mit Café, SUP-Verleih, Wasserspielen – der erste Touristenrummel, dem wir hier begegnen.
Wir erklimmen lieber den Kalkberg , auf dem sich ebenfalls viele andere Touristen tummeln.
Nachdem wir die Aussicht genossen und dann unten am See noch einen Kaffe getrunken haben, fahren wir weiter bis nach Tallinn. Auf dem Stellplatz Pirita Kämping bleiben wir zwei Nächte, um Tallinn zu erkunden. Der Platz liegt immerhalb einer neuen Marina, wo gerade die ORC World Championship stattfindet. Viele schöne Segelboote gibt es zu bestaunen, abends können wir dem regen Treiben der einfahrenden Boote und den Mannschaftsbesprechungen zusehen.
Auf dem sehr gut ausgebauten Radweg fahren wir am nächsten Tag nach Tallinn hinein – und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was für eine Stadt! Die Atmosphäre und die wunderschön restaurierten Häuser im Jugendstil und die riesigen klassizistischen Häuser sind einfach beeindruckend.
Allein die Eingangsportale könnten Alben füllen…
Wir radeln und schieben kreuz und quer durch die Straßen und Gassen der Altstadt zum Domhügel.
Später essen wir auf dem Rathausplatz einen Imbiss und schauen den vorübergehenden Menschen zu. Tallinn gefällt uns noch besser als Riga, Straßen und Gebäude sind wie aus einem Guss.
Man könnte wohl einige Tage in der Stadt zubringen und immer noch Neues entdecken. Nach dem abschließenden Marktbesuch sind wir voller positiver Eindrücke und „stadtsatt“ und radeln gegen Abend zurück zum Stellplatz.
Der Einkauf ist dann wie gehabt: Ein unfreundlicher Kassierer, der mit offenem Mund – und, wie in Estland üblich, ohne Maske – gähnt, niest und hustet und nicht mit den Kunden redet – nicht nur uns gegenüber verhält er sich so. Glücklicherweise haben wir andererseits heute sehr zuvorkommende Autofahrer/innen erlebt, die immer angehalten und uns vorbeigewunken haben – sei es mit dem Rad oder zu Fuß. Als Radfahrer/in wird man immer mit großem Abstand überholt, und die Vorbeifahrenden fahren langsam.
In Estland macht es aber auch vor Allem wegen der deutlich besser ausgebauten Straßen und Wege als in Lettland oder Litauen wieder Spaß, Rad zu fahren. Kaum noch Holperwege und Schotterpisten, sondern überwiegend auch kleine asphaltierte Straßen erlauben uns wieder größere Touren. Das wollen wir nun im Lahemaa Nationalpark ausgiebiger nutzen.
10. August
Hinaus aus Tallinn geht die Fahrt Richtung Osten. Durch den Lahemaa Nationalpark geht es in eine sehr menschenleere, abgelegene Region. Schmale Straßen werden durch sehr hohe und aufrechte Kiefern und Fichten gesäumt. Ganz vereinzelt stehen Wohnhäuser oder größere Gehöfte im Wald, von der Straße aus sind sie kaum zu sehen. Auf der Küstenstraße fahren wir den ersten – westlichsten – „Finger“ hinauf und halten auf einem Waldparkplatz, um eine Runde zu wandern.
Über Bohlenwege geht es zunächst zum „Majakivi“, einem der ganz besonders großen Findlinge in dieser Gegend. Man kann über eine Holzleiter hinauf steigen, was wir natürlich auch tun.
Der Weg führt zunächst weiter durch einen etwas sumpfigen Wald, dann über eine Moorfläche, die allerdings in diesem Sommer relativ trocken wirkt, zu einem gewaltigen Aussichtsturm. 90 Stufen muss man erklimmen, um die Moor- und Waldlandschaft gut überblicken zu können.
Schon der Turm selbst liegt auf einem Hügel, und der weitere Weg verläuft über einen bewaldeten Dünengürtel und ist sehr hügelig, sodass die Verantwortlichen hier Stufenwege gestaltet haben, die etwas abenteuerlich zu begehen sind.
Nach etwa 8 Kilometern sind wir wieder am Waldparkplatz angekommen und fahren weiter bis nach Käsmu im 3. „Finger“ des Nationalparks. Dieser Ort ist weitaus belebter und kann durchaus als kleines touristisches Zentrum gelten, wobei dies nicht zu vergleichen ist mit gemeinhin bekannten Tourismuszentren andernorts. Es gibt einige größere Häuser mit Betten und Wohnungen für Feriengäste und auch ein oder zwei Restaurants. Die Unterkünfte scheinen allerdings nicht annähernd ausgebucht zu sein. Wir finden einen wunderbaren Platz in dem Garten eines Privatquartiers, am Ende der Straße durch Käsmu.
Wir radeln noch eine kleine Runde am Ufer entlang und durch den hübschen kleinen Ort.
Das hübsche Dorf mit den bunten Häusern, die direkt aus Astrid Lindgrens Bullerbü-Büchern stammen könnte, hat es uns angetan. Alles sieht liebevoll gepflegt und gut erhalten aus.
Am Tag darauf nutzen wir die gut ausgebauten Wege und radeln über den neu angelegten Radweg aus dem Ort Käsmu hinaus nach Süden, über eine etwas eintönige Straße nach Westen durch den Wald in den 2. Finger des Nationalparks hinein nach Pärispea. Nur die Spitze dieses „Fingers“ erreichen wir nicht, da der Weg zuletzt unzugänglich wird und zugewuchert ist.
Auch hier gibt es wieder viele individuelle, gemütliche Häuser zu sehen, die, anders als in Käsmu, weniger renoviert und ärmlicher sind.
Auf dem Rückweg erwischt uns doch noch eine Gewitterfront; wir suchen in einem der zahlreichen Bushäuschen Schutz und radeln dann über die industriell geprägte, sowjetisch anmutende kleine Stadt Locka zurück.
Heute laufe ich an der Küste entlang von Käsmu aus Richtung Norden zur Landspitze. Ständig an der Küstenlinie mit den unzähligen Kivis im Blick führt der schmale Weg – rechts das Meer, links der Wald. Der Wald ist nicht bewirtschaftet, sondern wild und naturbelassen, und der Weg erfordert meine ganze Aufmerksamkeit.
Zurück geht es über einen breiteren Weg durch den Wald, in dem Blaubeeren, Preiselbeeren, Pilze und unterschiedliche Moosarten wuchern.
Ganze Steinfelder und ein weiterer Riesenkivi zeugen von der Vergangenheit, in der vor tausenden von Jahren diese Steine mit dem Eis bis hierher geschoben wurden.
In Käsmu vergeht die Zeit wie im Fluge, wir haben hier die für uns schönste und ansprechenste Küste gefunden. Bald wird es Zeit für die Rückreise, aber wir verlängern unseren Aufenthalt wegen des anhaltend sonnigen Wetters noch um einen Tag.
Eine letzte Radtour machen wir am Folgetag, dieses Mal an der Küste entlang Richtung Osten bis zum Ende des Lahemaa- Nationalparks. Auf dem Radweg radeln wir von Käsmu über Vosu, einem weiteren, etwas touristisch geprägten Ort mit Sandstränden und einer von Ferienwohnungen und -Häusern gestalteten Infrastruktur. Doch auch hier sind kaum Menschen zu sehen, die Strände liegen verlassen am Meer, Spielgeräte sind unbenutzt, Badeanstalten verwaist. Die kleine, neu erschaffene Marina hat nur wenige belegte Liegeplätze.
In Vergi fahren wir bis hinaus auf die Landspitze zum Leuchtturm und machen hier Rast.
Große Höfe mit den typischen Holzbauten, meist mit Wellblech oder Holzschindeln gedeckt, liegen am Weg.
Von hier aus geht es über einen gut zu befahrenden Waldweg, der immer wieder beeindruckende Ausblicke auf die stein-reiche Küste bietet, bis Vainupea.
Über Land radeln wir bei steifem Gegenwind zurück über eine etwas eintönige Hochebene. Kein Wunder, dass hier so viele Windmühlen stehen!
Am Abend nehmen wir Abschied von diesem schönen Teil der Welt. Ab morgen geht es zurück Richtung Deutschland.