10. November
Heute fahren wir am Osum entlang über eine schmale Straße von Berat bis nach Corovoda. Hier beginnt die Osum- Schlucht, die wir morgen mit dem Fahrrad erkunden wollen.
11. November
Die Sonne scheint, und unsere Neugierde auf den Canyon treibt uns früh hinaus. Den Proviant im Gepäck, radeln wir auf der nahezu leeren Straße Richtung Südosten.
Wie gut, dass wir mit Fahrrädern unterwegs sind, denn die unzähligen Fotomotive gebieten uns, alle paar hundert Meter anzuhalten. Steile Wände prägen die Schlucht, sie fallen bis zu 80 Metern senkrecht ab. Jetzt, im Herbst, führt der Fluss nur wenig Wasser. Wie mag es hier im Frühjahr rauschen, wenn der Osum anschwillt und wieder mit einem Kanu befahrbar ist!
Die alte Brücke sieht wenig vertrauenerweckend aus, doch ein schwerer LKW überquert sie vor uns, sodass wir uns auch trauen, darüber zu fahren.
An einigen Stellen ist der Zugang zum Fluss flach. Zur Brücke, die zur Einsiedler- Höhle führt, läuft man über einen schmalen Steingrat oberhalb des Flussbettes entlang. Höhlen gibt es hier in den Schluchtwänden viele, aber nur wenige sind zugänglich. Man nimmt an, dass der Fluss Osum früher einmal unterirdisch floss und die Felsen darüber erst nach und nach zerbrachen und verschwanden.
Nach etwa zehn Kilometern endet der Canyon, der Fluss begibt sich wieder in sein breites, grau- kieseliges Bett. Wir radeln über die neue Straße SH72 noch einige Kilometer bergauf. Die Hoffnung, dass diese gut asphaltierte Straße nach Permet, unserem nächsten Reiseziel, führt, schwindet mit dem ersten Dorf: Hier endet die kaum befahrene, breite Straße in einem Feldweg. Uns bleibt der Blick ins Tal, dann geht es zurück zur Biene.
Unterwegs können wir Köhler beobachten, die mehrere Kohlenmeiler aufgebaut und teils schon abgebrannt haben. Hier in Albanien gibt es dieses alte Handwerk also noch. Leider kann ich nicht herausfinden, wohin die Holzkohle gebracht und verkauft wird.
12. November
Das war eine Fahrt!
Zum ersten Mal können wir Bienes Offroad- Fähigkeiten ausführlich testen. Wir haben die Wahl zwischen der 238 km langen Strecke zurück über Berat oder der 53 km langen Strecke über die Berge Richtung Permet, denn wir wollen zu den Thermalquellen von Benje. Das Straßenschild am Osum- Canyon weist, etwas durchlöchert zwar, aber unmissverständlich, die Straße nach Permet als normale Verkehrsverbindung aus. Auf der Landkarte ist diese Verbindung allerdings nur durch eine sehr dünne weiße Linie erkennbar, und schon die ersten gefahrenen Kilometer hinter Lapanj machen uns klar, dass die Fahrt etwas länger dauern wird.
Über eine teils aus Lehm, teils aus mehr oder weniger großen Steinen bestehende Piste holpern wir dahin. Nach einigen hundert Metern steigt der Weg steil an, und steil geht es weiter durch viele, viele Serpentinenkurven weiter hinauf bis auf 1050m.
Immer wieder geht es zwischen tiefen, ausgewaschenen Rillen und Felsen auf der einen und dem Abhang auf der anderen Seite entlang, das Auto schaukelt und wippt, meistert aber jede Schwierigkeit. Den Fahrradträger haben wir mit einem Extra- Seil an den Airlineschienen gesichert.
Die tollen Aussichten entlohnen für die konzentrierte Anstrengung, und immer wieder können wir anhalten, denn glücklicherweise kommen uns keine anderen Autos entgegen, und nur wenige fahren von hinten kommend an uns vorbei, wenn wir einen Ausweichplatz finden.
Am höchsten Punkt, nach 10 km, rasten wir. Danach müssen wir über eine ebenso holprige, felsige und löchrige Piste wieder hinab auf der anderen Seite des Bergzuges. Hier wohnen wohl Menschen, die weder shopping noch Stadtgetümmel brauchen, denn freiwillig wird niemand diese Verkehrsverbindung häufig nutzen – das Internet funktioniert allerdings auch hier.
Öfter sehen wir an und mit dem Hang gebaute Häuser und Hütten sowie mit Holz und Säcken beladene Mulis und Hirten, die auf mehrere Ziegen, eine Kuh oder ein paar Schafe Acht geben.
Nach wenigen Kilometern sind Bienes Bremsen so heiß, dass die geklebten Radkappen drohen sich zu lösen. Also: erneute Pause, wobei Tom immer wieder kaltes Wasser auf die Radkappen kippt, das sofort verdampft. Nach 24 Kilometern und 5 Stunden Fahrzeit sind wir auf der SH75, einer asphaltierten Durchgangsstraße, angekommen.
Schnell noch in Permet einkaufen, dann, bevor es dunkel wird, zu den Thermalquellen in Benje, die nur noch wenige Kilometer entfernt sind. Auf dem Parkplatz stehen schon etliche Wohnmobile, die meisten uralt und mit vielen frei herumlaufenden Hunden. Offenbar ein Szenetreffpunkt. Die Mülleimer quellen über, sie werden wohl, wie an vielen Stellen in Albanien, aufgestellt, aber nicht geleert. Wir stellen uns ein wenig abseits und laufen, bevor es ganz dunkel wird, zu den Quellen und der osmanischen Steinbogenbrücke, die über die Lengarica führt.
13. November
Am Morgen stehen wir früh auf, denn heute ist Samstag, und auch Einheimische kommen, um in den warmen Schwefelquellen zu baden, um Rheuma oder andere Krankheiten zu lindern. Wir wollen, soweit das möglich ist, durch die Schlucht laufen. Es geht über die osmanische Steinbrücke Ura e Kadiut und an den Höhlen vorbei, die mich allerdings wegen des Mülls nicht zum Hineinklettern animieren.
Nicht nur das große Becken, sondern auch kleine „Töpfe“ etwas abseits laden mit warmem Wasser zum Baden ein – wenn es nur nicht so nach Schwefel riechen würde!
Weiter geht es, zunächst noch trockenen Fußes durch den Kies und das Geröll des recht breiten Flussbettes, doch schnell wird das Flussbett schmaler, und es gilt, einige Stellen zu durchwaten.
Das Flusswasser ist kalt, doch an den Rändern schießen immer wieder warme Schwefelquellen aus dem Gestein, und hierhin zieht es uns, denn hier können wir die Füße wärmen. Die Blicke wandern hinauf zu den gewaltigen Felsen über uns. Rund vier Kilometer lang ist die Klamm, und an manchen Stellen ragen die Felsen bis zu 100 m hoch hinauf.
Nach einem Kilometer werden die zu durchwandernden Wasserflächen zu groß, das Wasser dort zu kalt und zu tief, und wir müssen umkehren. Dabei entdecken wir noch ein, zwei größere Warmwassertöpfe und wärmen uns darin auf. Im Sommer könnte man sicher viel weiter in die Schlucht hineinlaufen.
Am größten Becken ist mittags schon Hochbetrieb von Ausflüglern; anstatt mit den vielen anderen Menschen darin zu baden, entschließen wir uns, nach dem Essen noch eine Wanderung oberhalb der Schlucht zu machen. Teilweise folgen wir der schmalen Lehmstraße, teilweise klettern wir über Gestein und Geröll durch die Macchia und haben wunderbare Ausblicke und Einblicke in den an dieser Stelle wohl tiefsten Canyon und in das umliegende Gebirge.
So gefällt mir Albanien!
14. November
Nach einem faulen Vormittag in leichtem Nieselregen entschließen wir uns, nach Gjirokastra weiter zu fahren. Für die nächsten Tage sind immer wieder Regenschauer und kühlere Temperaturen vorhergesagt – da ist es vielleicht interessanter, sich in Stadtnähe aufzuhalten. Da Albanien aus mehreren Bergketten besteht, die von Nordwest nach Südost verlaufen, liegen auch die etwas größeren Verkehrsverbindungen in den Tälern dazwischen in die gleiche Richtung. Das bedeutet, dass man oft Umwege fahren muss, um von A nach B zu gelangen. Wir fahren zunächst nach Nordwesten im immer schmaler werdenden Vjosatal über die SH 75, queren bei Kelcyra das Tal und fahren dann im Drinotal nach Südosten bis Gjirokastra. Jedes zweite Auto, das uns begegnet, ist ein alter, manchmal auch ein neuer Mercedes. Mit diesen Autos können Albaner gnadenlos über die löchrigsten Pisten brettern. Dennoch haben wir den Eindruck, dass auf Albaniens Straßen viel Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer genommen wird. Am Straßenrand laufen alte Männer oder auch Frauen mit ihrem hoch beladenen Muli.
Die Wolken hängen tief, und bevor wir uns niederlassen, kaufen wir Vorräte für einige Tage ein. Drei Kilometer von Gjirokastra entfernt finden wir einen halbwegs netten kleinen Stellplatz mit Restaurant, in dem wir abends essen gehen: Aperitif, Vorspeisen, Getränke, zweimal Lamm mit Joghurt und Paprikagemüse und Nachtisch für 24€. Für uns ein Spottpreis, für Albaner sicher nicht. Ein Rentner bekommt in Albanien auf dem Lande zwischen 80 und 95€ im Monat, in der Stadt etwa 120€, habe ich in einem Reiseführer gelesen.
Der nächste Tag wird grau in grau, wir faulenzen und lesen den ganzen Vormittag. Ich gehe, als der Regen nachlässt, eine Runde spazieren über die Wege, die hinter dem Stellplatz zu einigen ärmlichen Häusern und Hütten führen. Die offenbar bewohnten Häuser sind halb verfallen, die Nebengebäude für Hühner und Schafe kaputt und dreckig. Müll liegt überall herum, nicht nur Kleinteile, sondern richtige Müllkippen türmen sich neben manchen Häusern auf. Schafwolle wurde offenbar aus der Verpackung gerissen und schmückt nun Zäune und Hecken der Umgebung, ebenso wie Plastiktüten, die wohl weggeweht wurden, und Toilettenpapier. Der Blick auf die Neustadt aus der Ferne offenbart verkommene Hochhäuser aus der Zeit des Sozialismus, begonnene, nicht fertig gestellte Neubauten und Ruinen aus Beton. Alles sieht provisorisch aus: Die Bauten, die ungepflegten Gärten und Weinberge, in denen das (Un)kraut meterhoch wuchert, die Straße, die halb geteert, halb aufgerissen ist und an der die Baustellenschilder noch stehen, aber niemand mehr zu arbeiten scheint. Albanien hat zwei Gesichter: Die nahezu unberührte Landschaft der Berge und Täler abseits der Städte und Dörfer einerseits und das schmutzige, ungepflegte Gesicht der Städte und der Menschenmengen, die noch weit vom mitteleuropäischen Maßstab für Umweltpflege und -schutz entfernt sind.
Nachdem wir genug vom Faulenzen haben, putzen wir die Fahrräder und ölen die verstaubten Ketten. Biene wird von innen gründlich gewischt, bis sie blitzt.
16. November
Trockenes Wetter, leichte Bewölkung: Gutes Wetter, um die vier Kilometer nach Gjirokastra zu radeln. Wie meistens, zieht uns die Burg mit der unterhalb, aber auch oberhalb liegenden Altstadt an. Durch schmale Gassen mit einer für Fahrräder nicht gerade optimalen Pflasterung geht es steil bergauf.
Gut, dass wir nicht mit dem Auto in die Altstadt gefahren sind! Wir beobachten zwei Busse, die sich in einer solchen Gassen aneinander vorbeizwängen, und applaudieren den Künstlern, die diese Fahrzeuge lenken.
Über die Straßen mit den Souvenirläden und Restaurants gelangen wir zur Burg. Auf einem langgezogenen Bergsattel gelegen dominiert sie die Stadt. Hohe Verteidigungsmauern umgeben die 500m lange Festung. Die Gewölbe hinter dem Haupteingang stammen aus dem 18. Jahrhundert, hier befindet sich ein Militär- und Waffenmuseum. Hier ist, anders als in Berat, die Burg nicht bewohnt. Sie hat von 1930 bis 1968 als Gefängnis gedient, für dessen Bau hat man die Mauersteine des ehemaligen Viadukts genutzt.
Auf dem freien großen Burggelände finden heute Festivals statt.
Am nordöstlichen Ende der Festung steht der aus dem 19. Jahrhundert stammende Uhrturm.
Von oben hat man einen wunderbaren Blick über die Stadt und die umliegenden Gebirge.
Seit 2005 gehört die Altstadt von Gjirokastra zum Weltkulturerbe. Einige Hausbesitzer halten sich allerdings nicht an die Vorschrift, die Häuser weiterhin mit den typischen grauen Steinplatten zu decken, weshalb der Titel als Weltkulturerbe- Stadt auf der Kippe steht. Die Stadt Gjirokastra hat, anders als Berat, noch keinen Gesamtplan zum Erhalt dieses Schatzes entwickelt. Der Blick über das oberhalb der Altstadt liegende Viertel Dunavat ist grandios.
Teils sind die Wohnhäuser noch gut erhalten, wie beispielsweise das gelbe Fico- Haus, das dem einflussreichsten Familienclan gehört(e). Andere Häuser sind zunehmend vom Verfall bedroht, die Restaurierung stockt.
Wir radeln durch die engen, quirligen Gassen und können die gesamte Burganlage von oben und vom benachbarten Berghang aus sehen. Über viele Serpentinen geht es wieder hinab.
Über die neuere Hauptstraße fahren wir zurück zum Campingplatz. Unterwegs entdeckt Tom einen Schuster, der ihm bis zum nächsten Tag für umgerechnet 9 € zwei Paar Schuhe neu besohlt.
Erstaunlich: In der Stadt haben wir kaum Müll gesehen; an den touristischen Schwerpunkten hat man das Problem offenbar erkannt und es gelingt, dies erfolgreich einzudämmen.
17. November
Wir verabschieden uns von der Stadt und dem Inland und wollen, bevor wir an die albanische Küste und dann nach Griechenland weiterreisen, noch die Karstquelle „Blue Eye“ anschauen, die an der Verbindungsstraße zur Küstenstraße liegt.
Zwei Kilometer Fußweg sind es bis zur Quelle, auf dem Weg wird eine neue Straße angelegt, die demnächst viele Touristen- Fahrzeuge bis „ganz nah dran“ bringen soll. Die Schranke für den Eintritt ist schon installiert. Der Weg zur Quelle führt an einem Stausee vorbei, der aus dieser Quelle gespeist wird.
Es gurgelt und sprudelt aus der im Sonnenlicht glänzenden grün- blauen Quelle. Ein Albaner erzählt, dass das Loch, aus dem das Wasser quillt, 15 Meter tief liegt. 7,5m³ Wasser kommen jede Sekunde hervor, und das Wasser hat immer eine Temperatur von etwa 12 Grad.
Auch rundum rauscht und plätschert das Wasser, diese blaue Quelle ist wohl nicht die einzige hier, und ein sehr schneller Fluss strömt unter den kleinen Brücken durch. Ein schöner Ort!
Für uns geht es nun weiter an die albanische Küste.