Auf Euböa bleiben wir noch zwei Tage. Von der nördlichen Ostküste geht die Fahrt zunächst noch einmal zur Fahrradreparaturwerkstatt in Istiaia, wo Toms Rad erfolgreich neue Bremsbeläge bekommt, dann weiter an der Westküste entlang nach Limni, einer hübschen kleinen Hafenstadt.
Von hier aus fahren wir noch einmal an die Ostküste, nun in die Nähe von Kirinthos. Hier ist der Strand kilometerlang und nahezu völlig ungenutzt.
Wir stellen Biene direkt am Strand ab und radeln einen halben Tag in der weiten fruchtbaren Ebene umher. Hier scheint die Grenze der riesigen Waldbrände zu den unversehrten Flächen zu liegen, vielleicht, weil es hier – ganz anders als im Norden – nicht viel Wald gibt. Stattdessen begleiten Baumwollfelder unsere Fahrt, Trecker mit übervollen Anhängern voller weißer Flocken fahren über die Felder und Straßen, viele dieser Flocken werden in den Straßengraben geweht. Walnussbäume stehen am Straßenrand, ganze Walnussbaumfelder sind zu bestaunen. Gemüse und Weintrauben wachsen hier im Überfluss.
Den Tag beschließen wir mit einem Faulenzernachmittag, einem Bad im Meer und einem leckeren Essen.
Am 23. Oktober machen wir uns auf nach Korinth. Die Mitte und den Süden Euböas wollen wir ein anderes Mal erkunden, denn uns zieht es bei dem schönen, warmen Wetter in die Berge des Peloponnes – dorthin, wo es im letzten Jahr zu kalt wurde um Rad zu fahren.
Über Chalkida, wo wir den nur 40m breiten Strömungskanal zwischen Insel und Festland bestaunen, fahren wir an diesem Tag bis hinter Korinth auf den Peloponnes.
Gegen 16 Uhr überqueren wir bei 27 Grad den Kanal von Korinth. Das erste Ziel, den Stellplatz Aphrodites Waters bei Akrokorinth, kennen wir noch vom letzten Jahr. Wir bleiben dort eine Nacht, um am folgenden Tag in Korinth drei Stunden lang in einem Waschsalon Wäsche zu waschen und zu trocknen – das war endlich nötig! Nach dem Großeinkauf folgen wir der dicht bebauten, stark befahrenen und über viele Kilometer durchlöcherten und ruppigen Küstenstraße A8 nach Nordwesten bis Diakofto. Beim nächsten Mal nehmen wir wieder die parallel verlaufende (teure) Autobahn!
Von Diakofto aus fährt die Zahnradbahn nach Kalavryta ins Aronia- Gebirge, und auf die Fahrt hiermit freue ich mich schon seit letztem Jahr. Diese Bahnstrecke gilt als eine der schönsten in Griechenland und die Zahnradbahn ist als höchste Gebirgsbahn Griechenlands bekannt.
Abends machen wir noch einen kleinen Gang durch die Stadt, bevor wir eine etwas unruhige Nacht am Bahnhof verbringen.
25. Oktober
Am Morgen fährt die erste Bahn zeitig hoch nach Kalavryta. Innerhalb einer guten Stunde geht es über eine beeindruckende Strecke durch die Schlucht des Vouraikos, über kleine Brücken und durch Felstunnel bis nach Kato Zachlorou hoch und schließlich noch einige Kilometer durch sanftere Gebirgslandschaft bis Kalavryta. Die Stadt wollen wir uns später ansehen, jetzt aber mit der Bahn wieder zurück.
Auf der Rückfahrt steige ich in Kato Zachlorou aus, um die 13 Kilometer bis ins Tal hinab zu wandern. Der längste Teil der Wanderstrecke führt direkt über die Gleise bzw. an diesen entlang. Da ich die Zeiten der Abfahrten des Zuges im Kopf habe, kann ich mir ausrechnen, wann ungefähr ich mich auf eine Begegnung mit dem Zug einstellen, nicht gerade in einem der Tunnel sein sollte und ausweichen muss.
Über abenteuerliche Brücken und durch etliche Tunnel geht es stetig, über 700hm, hinab ins Tal. Der Weg ist etwas beschwerlich, da der bahntypische grobe Schotter zwischen und neben den Gleisen nach einer Weile die Fußsohlen trotz dicker Wanderschuhe reizt, das Hüpfen von Schwelle zu Schwelle aber aufgrund der unregelmäßigen Verlegung auch nicht entspannter ist und ein hohes Maß an Konzentration erfordert.
Es sind beeindruckende Blicke in die Schlucht und auf die aufsteigenden Berge, die sich mir bieten, sodass die Wanderung kurzweilig und spannend ist.
Nach etwa zehn Kilometern erreiche ich das Ende der Schlucht und einen besser begehbaren Wanderweg, der nach Diakofto zum Bahnhof zurückführt. In einem Kafenion trinke ich das erste Bier meines Lebens – bloß kein Wasser mehr!
Während meiner Wanderung ist Tom auf der Küstenstraße ein Stück des Radfernweges entlang gefahren. Hier herrscht jedoch so viel Autoverkehr, dass das Radfahren keine Freude macht. Später berichtet er von einem für uns als Deutsche außergewöhnlichen Erlebnis: Nachdem er in einer Bäckerei war, um sich die Auslagen anzuschauen, dann aber sagen musste, dass er kein Geld zum Kauf dabei hatte, kam die Verkäuferin hinter ihm her aus dem Laden und schenkte ihm ein frisches Gebäckstück und eine Flasche Wasser. Sie hatte ihn wohl missverstanden und dachte, er habe generell kein Geld. So freundlich erleben wir die Menschen in Griechenland meistens.
Am späten Nachmittag fahren wir mit Biene weiter. Noch einmal geht es hoch nach Kalavryta, jetzt allerdings auf einer Gebirgsstraße mit traumhaften Ausblicken.
Unterhalb des Freiheitsdenkmals, das des Befreiungskrieges von 1821 gedenkt, und in der Nähe der kleinen Stadt Kalavryta finden wir einen Platz für zwei Nächte.
Den Nationalpark Achaia im Süden von Kalavryta durchradeln wir am Tag darauf. Von 700m geht es über eine Schotterpiste von Lagovouni bis auf 1200m hoch hinauf – das Kartenmaterial von open street map ist nicht immer auf dem aktuellen Stand, prophezeite es uns doch eine nahezu durchgehend asphaltierte Straße. Wir schwitzen und schieben und treten…
Auf dieser Tour durchfahren wir ein Schigebiet mit Schihütten, Wintersporthotels und Schiverleih – für den Wintersport ist es allerdings mit momentan 24 Grad „etwas“ zu warm.
Aus dieser Höhe radeln wir wieder nach Kalavryta zum Fuße des Aronia- Massivs hinab.
Etwas oberhalb der Stadt an dieser Ausfallstraße befindet sich das Mahnmal für die von den deutschen Nationalsozialisten Ermordeten. Am 12. Dezember 1943 wurden an dieser Stelle 1300 Bewohner etlicher umliegender Gebirgsdörfer, allein 690 Jungen und Männer aus Kalavryta, von deutschen Soldaten zusammengetrieben und erschossen. Fünf Stunden soll es gedauert haben, bis alle männlichen Bewohner umgebracht waren. Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert, alles Brauchbare mit der Bergbahn weggeschafft. Als die Deutschen abzogen, sangen sie „Lilli Marleen“. (Zitat aus Hans Dieter Siebenhaar: Peloponnes. Michael Müller Verlag, o.O., 2021) Am Tag dieser furchtbaren Taten wurde die Kirchturmuhr angehalten. Sie zeigt auch heute noch die Todesstunde an.
Wir besuchen das Mahnmal und gehen später mit Beklemmung durch die lebhafte kleine Stadt, in der wohl jede/r Einwohner/in mindestens einen Verwandten durch die deutschen Nationalsozialisten verloren hat. Deutsch sprechen wir nicht.
Unsere Fahrt mit Biene geht am nächsten Tag weiter durch die Ausläufer des Achaia- Gebirgsmassivs nach Süden. Einen Zwischenstopp legen wir an der Tropfsteinhöhle Kastria Cave ein. Bei einer Führung können wir die ungewöhnlich riesige Höhle anschauen. Auf drei Ebenen erstreckt sie sich über zweieinhalb Kilometer, die Höhe beträgt teilweise über 30 Meter. Im Winter füllt der von oben durchdringende Regen 13 terrassenförmig abgestufte Seen und fließt als Fluss zwischen Stalagmiten und Stalagtiten hindurch, heute sind die Seen nur mit wenig Wasser gefüllt. 18000 Fledermäuse leben in dieser Höhle, immer wieder schwirrt mir die ein oder andere um den Kopf.
In der Nähe von Helospilia finden wir etwas später für zwei Nächte einen schönen Platz an der Ladon- Quelle, die hier mit Macht aus dem Boden sprudelt und sich in einem schnell fließenden Bach talabwärts bewegt.
Von hier aus radeln wir eine anstrengende Tour über viele Serpentinen entlang der Gebirgsausläufer nach Likouria und dann zum Pass auf 1200m hinauf und wieder hinab nach Feneos zum Doxa- Stausee.
Außer einigen Ziegen begegnet uns auf der Strecke kaum ein Wesen, doch das ändert sich schlagartig, als wir den See erreichen. Heute ist griechischer Nationalfeiertag, und das schöne Wetter zieht sämtliche Griechen aus weitem Umkreis zum Spaziergang und Picknick an diesen See. Verständlich, leuchtet dieser doch idyllisch zwischen den Bergen in der Herbstsonne.
Wir umrunden den Doxa-See und radeln mit den letzten Akku- Reserven wieder zurück zu Biene.
Am nächsten Tag folgen wir mit Biene mehr oder weniger ddem Lauf des Ladon über kleine Dörfer und sehr schmale Sträßchen bis zum Ladona- See. Hier faulenzen wir den ganzen Tag in der Sonne, lesen und planen die kommenden Tage in den Höhen des Menalon- Gebirges.