3.-9. November
Drei Tage bleiben wir im südlichsten Zipfel Montenegros bei Doni Stoj. Das Wetter ist grau, und wir machen einige Strandspaziergänge, wenn es nicht regnet.
Neben Strandgewächsen und Strandgut findet sich hier überall auch angespülter Müll, vor Allem Plastikflaschen, Schuhe, Kinderspielzeug.
Wir bereiten uns auf Albanien vor und zeichnen in die Karte ein, welche Orte und Gegenden wir besuchen möchten.
Am 5. November reisen wir in Albanien ein. Ausweiskontrolle, KFZ-Schein, und nach ein paar Minuten sind wir im Land. Noch nie mussten wir unsere Impfausweise vorzeigen. Im ersten Vodaphone- Shop kaufen wir eine SIM- Karte und können auch gleich Euro in Lek tauschen, alles klappt gut. Über die SH1 fahren wir durch das weite, dicht besiedelte Tal Richtung Leshe. Schweren Herzens haben wir die Fahrt nach Theth und durch das Valbona- Tal sowie über den Koman- Stausee gekänzelt: Zu ungewiss und kalt ist das Wetter dort im Gebirge vorhergesagt.
Die ersten Eindrücke von Albanien: Es gibt an der SH1 entlang sehr viel Industrie, alle 500m eine Tankstelle und sogar alle 200m eine mehr oder weniger improvisierte Autowaschanlage. Ungeheuer viel Plastikmüll liegt am Straßenrand. Der Verkehr ist dicht, und keiner der albanischen Autofahrer hält sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, die selbst für unsere Maßstäbe sehr oft übertrieben gering sind. So soll an jeder Einmündung auf 40 km/h abgebremst werden, oft sogar auf 20 km/h. Durchgezogene Mittelstreifen werden bei Überholmanövern grundsätzlich überfahren. Dennoch habe ich den Eindruck, dass hier rücksichtsvoller als in Montenegro gefahren wird.
Viele kleine Ein- oder Zweipersonen-Bunker, Überbleibsel aus der Zeit Enver Hoxhas, zieren die Wiesen und Seitenstreifen. Von diesen Bunkern wurden knapp 175.000 gebaut, um die Bevölkerung vor „inneren“ und „äußeren“ Bedrohungen zu schützen.
Unser erstes Ziel, der agro tourismo in Mrizi i Zanare, enttäuscht uns, weil es dort entgegen unseren Erwartungen im Ladengeschäft nicht die in der entsprechenden Literatur angegebenen verlockenden Köstlichkeiten zu kaufen und im Restaurant auch kein Frühstück mehr gibt.
Wir setzen unseren Weg fort bis zur Patok- Lagune bei Leshe und parken dort an einem der zahlreichen Fischrestaurants, die auf der schmalen Landzunge in neuester Zeit entstanden sind. Im Nieselregen laufen wir auf der Landzunge entlang und schauen den Fischern zu, die mit seltsamen Konstruktionen von zusammenziehbaren, quadratischen Netzen, die an einem Gestänge befestigt sind, kleine Fische aus der Lagune ziehen.
Auch in der Lagune liegt überall Müll herum. Flüsse und andere Gewässer werden in Albanien noch als große Müllkippe gesehen, nur zwei Küstenstädte haben eine Kanalisation, die die Abwässer nicht ins Meer ableitet. Interessant sind für uns auch die unvollendeten Anlagen und Gebäude, zumal die offensichtlichen Bausünden schon jetzt bedenklich anmuten.
Die Restaurants auf der Lagune haben ein festes Gebäude mit Parkplätzen auf der Landzunge, einzelne Hütten stehen als Pfahlbauten im Wasser. In einer dieser Hütten essen wir zu Abend: Shrimps, Spaghetti mit Meeresfrüchten, ein großer Salat, Oliven, Wein und Wasser für 20 Euro. Tom bekommt zuvor noch einen Raki und eine Tasse Kaffee vom Chef des Hauses ausgegeben.
Auf dem Parkplatz des Restaurants verbringen wir eine ruhige Nacht.
Am 6. November fahren wir morgens weiter Richtung Tirana, durch eine weite Ebene, die uns, wie schon wie am Tag zuvor, wenig reizvoll erscheint. Viele Industriebetriebe, viele Neubauten, viel Lärm, viele Tankstellen, sehr viele Waschanlagen, dichte Besiedlung – und viel Müll. Etwas enttäuschend – Radfahren ist hier kaum vorstellbar.
Viele Menschen freuen sich, wenn sie uns vorbeifahren sehen, grüßen und winken. 14 Kilometer vor Tirana suchen wir den Campingplatz Tirana auf, der der albanischen Hauptstadt am nächsten liegt, aber dennoch ruhig ist. Wir müssen dringend Wäsche waschen, und hier gibt es eine Waschmaschine, und das Wetter soll heute und morgen sonnig werden. Also wird gleich die erste Maschine angeworfen.
Die Hausherrin kommt mit Begrüßungs- Raki vorbei und erzählt ein bisschen auf unsere neugierigen Fragen hin. Sie spricht ein wenig Englisch, zum Glück, denn die meisten Albaner sprechen kaum Englisch, eher Italienisch, historisch bedingt haben die Älteren Italienisch als 1. Fremdsprache gelernt. Sie berichtet vom friedlichen Zusammenleben und -feiern der Moslems und unterschiedlichen christlichen Richtungen, ihr Mann ist Moslem, sie selbst hingegen Christin. Probleme gibt es bei solchen Konstellationen wohl eher nicht.
Ich laufe ein paar Kilometer um den naheliegenden See und werde von allen Menschen, die mir begegnen, freundlich, teils überschwänglich begrüßt und mit Händen und Füßen gefragt, woher ich komme, und wie es mir hier gefällt.
Für den nächsten Tag haben wir ein Taxi bestellt, mit einem sympathischen jungen Pärchen gemeinsam fahren wir nach Tirana. Eigentlich hatten wir vor, mit den Fahrrädern zu fahren, doch davon wurde uns dringend abgeraten. Während der Fahrt erkennen wir, dass das sinnvoll war: Zu dicht ist der Verkehr, und wenn auf vierspurigen Straßen 6 Spuren genutzt werden, ist für Radler kaum noch Platz. Unser Taxifahrer fährt sehr umsichtig und wir staunen, dass man auch auf der Stadtautobahn noch herumlaufenden Ziegen und Kühen und Fußgängern ausweichen kann.
Einige Stunden erkunden wir Tirana, bevor uns das Taxi wieder abholt. Vom großen Platz mit dem Denkmal für Skanderbeg, einem Nationalhelden, der seit dem 19. Jahrhundert als identitätsstiftende Figur gilt, weil er sich für die Einheit Albaniens eingesetzt hat, schlendern wir durch die Stadt.
Der Weg führt vorbei an der Ethem- Bey- Moschee, in die auch ich als Frau und Touristin hereingebeten werde und auch fotografieren darf. Die Moschee blieb während der Zeit Enver Hoxhas unberührt, zu dieser Zeit wurde sie sogar unter Denkmalschutz gestellt, während viele Religionsstätten zerstört wurden.
Gleich neben der Moschee befindet sich der alte Uhrturm Tiranas. Er wurde 1822 gebaut und galt mit 35 m Höhe einst als das höchste Gebäude Tiranas. Unvorstellbar – heute türmen sich daneben und im direkt angrenzenden Umfeld unzählige Hochhäuser.
In der belebten kleinen Fußgängerzone, die sich in den Mauern der ehemaligen Befestigungsanlage erstreckt, verlocken jede Menge Cafés und Restaurants.
Am meisten beeindrucken uns jedoch die farbigen und forminnovativen Häuser. Einige Überbleibsel aus sozialistischer Zeit sind, bereits nach dem Machtwechsel unter dem damaligen Bürgermeister und jetzigen Ministerpräsidenten Edi Rama, dem Einheitsgrau entronnen und farblich abgesetzt worden. Bei neueren Gebäuden ist dieser Hang zur Farbe aufgegriffen und interessant umgesetzt worden. Doch auch die Formen der Hochhäuser sind vielfältig und spannend.
Die Regierungsgebäude sind ebenfalls farblich mehr oder weniger stark in Szene gesetzt worden, oft im italienischen Stil.
Das BunkArt- Museum, welches den Terror durch Militär und Geheimdienste während des 2. WK und des Sozialismus präsentiert, ist leider didaktisch nicht auf dem neuesten Stand und zudem ist Vieles nur auf Albanisch erklärt.
Nach dem anstrengenden Stadt- Ausflug sind wir froh, mit dem Dunkelwerden wieder am Campingplatz zu sein und trinken uns noch einen Wein mit den Nachbar*inne*n. Am darauf folgenden Tag fahren wir weiter Richtung Süden.
8. November
Eigentlich wollten wir nach Elbasan fahren und uns die Stadt anschauen, fahren aber, nachdem einige schwierige Interventionen mit den heimischen Behörden erforderlich und erfolgreich waren, schließlich über gut ausgebaute Straßen noch weiter über Elbasan hinaus bis nach Berat, wo wir einen kleinen Stellplatz am Fluss Osum, etwa 3 Kilometer außerhalb der Stadt, finden. Auf dem Weg dorthin kommen wir durch Kucove und staunen über die zahlreichen kleinen Erdöl- Fördertürme. Hier wurde seit etwa 1930 Erdöl gefördert, und auch heute sind noch einige der Anlagen in Betrieb. Es riecht nach Öl, und die Gemüsegärten sind von einer schwarzen Schmiere überzogen.
Am 9. November radeln wir schon früh vom Stellplatz nach Berat hinein. Die Straße ist wenig befahren und asphaltiert, ein Glück!
Berat gilt als eine der schönsten Städte Albaniens. Sie liegt direkt am Osum, der zur Zeit nur wenig Wasser führt und mehr wie eine Kies- Abbauhalde aussieht. Etliche Bagger schaufeln und schieben den Kies im Fluss von rechts nach links. Schon nach zwei Kilometern haben wir einen schönen Blick auf den Burgberg Kala und das berühmte, seit 2008 auf der UNESCO- Weltkulturerbeliste vertretene Stadtviertel Mangalem. Die Stadt ist zwar 2400 Jahre alt, wurde aber nach dem schweren Erdbeben 1851 fast komplett neu aufgebaut. Aus dieser Zeit stammen die Wohngebäude, die dicht am Hang kleben und durch sehr schmale Gassen getrennt sind. Sie bestehen aus einer mehrstöckigen Holzkonstruktion, die weiß verputzt wurde, und das 1. Stockwerk steht oft über das Parterre hinaus auf den Weg über. Die zahlreichen Fenster sind ortsbestimmend, die Stadt wird auch „Stadt der aufeinander gestapelten Fenster“ oder „Stadt der 1000 Fenster“ genannt.
Wir radeln zuerst den sehr steilen Burgberg hinauf. Die Festung ist noch bewohnt, und direkt nach dem 1. Tor zur Vorburg bieten ältere Bewohner ihre Hilfe bei einem Rundgang an. Wir lehnen dankend ab und erkunden das 200 Gebäude umfassende Areal lieber alleine. Wenige Ruinenreste stammen noch aus dem 4. Jahrhundert vor Christus und aus dem 13. Jahrhundert.
Von der gesamten Burganlage aus hat man einen schönen Blick auf die Stadt und das Tal des Osum.
Wir wandern durch die Anlage und erkunden leer stehende Gebäude, Mauerreste einst prunkvoller Wohngebäude, Kirchen und Moscheen.
Die Zisterne ist noch gut gefüllt – mit Wasser und Müll. Einst konnte man hierin 150000l Wasser sammeln.
Schmale Gassen und kleine Restaurants laden ein, herumzuspazieren und hier oder dort einen Kaffee zu trinken. Wir treffen zufällig Bekannte aus Rijeka Crnojevica und nutzen das gastronomische Angebot.
Nach dem Besuch der Burg radeln wir zurück in die Stadt, schauen uns ein wenig um und machen anschließend einen Ausflug in die umliegenden Berge, um die Möglichkeiten für Radfahrer*innen zu erkunden.
Vom Stellplatz aus fahren wir mit den Rädern etwa vier Kilometer auf asphaltierter Straße am Osum entlang, dann ändert sich der Straßenbelag in festen Schotter und wird schnell zu Geröll und Matsche. Hier können wir nicht weiterfahren, drehen um und versuchen einen anderen Weg weiter westlich, in die Berge. Hier haben wir zunächst mehr Glück, kilometerweit geht es über eine neue Asphaltdecke bergauf. Es bieten sich schöne Ausblicke auf das Tomorr- Gebirge und den Lauf des Osum. Viele Fußgänger*innen kommen uns entgegen, grüßen und lachen und oben im Dorf auf dem Berg laufen Kinder um uns herum und winken.
Leider müssen wir nach sechs Kilometern umkehren, da die Straße nun doch als Schotterweg fortgesetzt wird. Mal schauen, ob wir in den nächsten Tagen noch eine gut ausgebaute Fahrradstrecke finden!