Von Kingsbridge zur Lizard-Halbinsel

An der Südküste Englands bewegen wir uns langsam weiter nach Westen. Längere Strecken können wir über die autobahnähnliche A38 fahren, die Abstecher in küstennahe Kleinstädtchen und Dörfer führen oft über schmale, mit hohen Hecken gesäumte und kaum einsehbare Straßen. Auf diesen Wegen legen wir manchmal nur 15 Meilen in einer Stunde zurück. Die Landschaften und Dörfer in Küstennähe sind beeindruckend saftig, grün, farbenfroh und bergig. Die Engländer, mit denen wir ins Gespräch kommen, sind auch vom etwas wechselhaften, aber meist trockenen Wetter begeistert: Sobald die Sonne herauskommt, ist es ein lovely day und lädt zum Wandern, Baden oder Reiten ein. Footpathes und auch bridleways gibt es überall zuhauf.

Dartmouth und Kingsbridge

Dartmouth, eine hübsche 5000-Einwohner-Stadt an der Mündung des River Dart im Süden von Exeter, besichtigen wir auf dem Weg nach Kingsbridge. Glücklicherweise gibt es noch Parkplätze in Stadtnähe – trotz zahlreicher Touristen im Ort. Über einen hoch gelegenen Fußweg kann man vom Städtchen zum Dartmouth Castle laufen. Von hier hat man wunderbare Aussicht auf das gegenüber liegende Ufer. In unmittelbarer Umgebung der Burgruine führt der Devon Coast Path mit schönen Ausblicken auf einsame Buchten vorbei.

Gegen Abend stationieren wir Biene in Kingsbridge auf einem Parkplatz, auf dem ausnahmsweise auch einmal Wohnmobile für 48 Stunden stehen dürfen – für sehr preiswerte 10£ pro Nacht. Von hier radeln wir die Widegates hinunter nach Süden und besuchen das hübsche Städtchen Salcombe. An der winzig kleinen Fahrrad- und Fußgängerfähre gibt es mal wieder steile Treppen – glücklicherweise nur abwärts. Über die Bordwand der kleinen Fähre hebt der Käpt´n die Räder, und unbeschadet landen wir auf der Ostseite der South Sands.

Über einen Waldpfad mit riesigen Bäumen gelangen wir zur Slapton Line, eine auf einem Kiesstrand verlaufende breit ausgebaute Straße, hinter der sich weite Lagunen erstrecken. Immer wieder wurde die Verbindung von schweren Stürmen und Hochwasser beschädigt, zerstört und wieder neu aufgebaut. Doch heute ist die See ruhig, und wir können die Straße zwischen Lagunen und offenem Meer gefahrlos befahren.

Blick auf die Slapton Line

An kleinen, geduckten oder prächtigen, oft reetgedeckten Häusern vorbei, über Wiesen und Felder, vor Allem aber über steile Bergauf- und Abfahrten radeln wir zurück. Wie schön: Pausen kann man fast überall einlegen. Immer wieder stehen Bänke am Wegesrand, oft mit einer eingefassten Widmung an eine*n geliebte*n Verstorbene*n, manchmal auch geschmückt mit einer Vase voller frischer Blumen.

St. Winnow am Fowey River

Am 8. Juni erreichen wir Cornwall – die Fahrt durch England dauert aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens und der Straßenverhältnisse länger als geahnt. Wir fahren mit dem Camper auf einen sehr abgelegenen und wunderschönen Campingplatz am Fowey River. Die letzte kleine „Straße“, die hierher führt, wirkt auf den letzten 3 Kilometern aufgrund der hohen Hecken und der überhängenden Bäume wie ein Tunnel, der nur durch große Fahrzeuge in Form gebracht wurde. Wenn ein Auto entgegen kommt, muss einer von beiden in die nächste Haltebucht ausweichen, was immer problemlos klappt.

Es erwartet uns eine riesige, in Schwünge und Kreisen frisch gemähte ziemlich schräge, baumbestandene Wiese mit Toilettenhäuschen und einem dreiseitigen Bretterverhau als Dusche. Schön wie ein freier Stellplatz, nur die Kosten – 60£  für drei Nächte nach einer längeren Preisverhandlung – stimmen nicht so ganz mit unseren Vorstellungen überein. Über Preise und Kosten darf man sich im UK nicht allzu viele Gedanken machen … wenn ein Espresso schon 3,50£ (umgerechnet 4,10) kostet…

Wir finden ein fast ebenes Stück Wiese weit oben über dem Fluss mit wunderbarer Aussicht. Außer uns steht nur ein Camper weiter unten am Fluss und einige Zelte. Ein Platz, um auszuspannen und zu faulenzen.

Bei einem Spaziergang am River Fowey steige ich über etliche fußgängergerechte  Gatter, überquere Wiesen und laufe über Waldwege mit Blick auf das Flussbett. Jeder Weg ist als footpath ausgeschildert.

Direkt am Campingplatz befindet sich die kleine Kirche St. Winnow inmitten des Kirchhofes mit alten, steinernen Kreuzen und hoch gewachsener blühender Wiese.

Lange hält die Faulheit nicht an: Die Erkundungstour rund um das Delta des River Fowey anderntags führt unsere Kondition an ihre Grenzen. Diese 36 Radkilometer mit 920 Höhenmetern haben es in sich: Immer wieder steil hinauf, steil hinunter, mit oft 12%, teilweise 18% Steigung – das ist auch mit E-Bike mühsam. Die Ausblicke belohnen unsere Anstrengungen, abends sind wir allerdings geschafft.

An der Mündung des Fowey River, in Polruan, genießen wir den Blick auf den Ärmelkanal einerseits und das Flussdelta andererseits. Das Städtchen Fowey auf der gegenüber liegenden Seite der Mündung schmiegt sich an den Hang und ist hübsch und aufgeräumt wie alle bisher besuchten kleinen Städtchen. Die Treppe zur Fähre hat heute glücklicherweise nicht viele Stufen, und so können wir diese gut bewältigen und auf der Westseite des Flusses wieder zurück fahren.

Blick auf die See
Blick auf Fowey (links) und Polruan (rechts)

Am nächsten Tag schmerzen die Muskeln, es fehlt die Lust auf weitere Anstrengungen. Deshalb beschließen wir, das viktorianische Landschloss Lanhydrock in nur 10 Kilometern Entfernung vom Campingplatz zu besichtigen. Den Eintritt sparen wir uns zum dritten Mal mit der Mitgliedschaft beim „Bayrischen Kulturerbe“ – immerhin 2x 20£.

Ein langer Fahrweg führt durch den Park zum Haus, und schon aus großer Entfernung sieht man das mächtige Torhaus mit dem dahinter liegenden Haupthaus.

Haupthaus Lanhydrock

Um einen Innenhof herum steht das dreiflügelige Haupthaus aus grauem Schiefer und Granit, ursprünglich im 17. Jahrhundert erbaut, nach einem Brand 1881 wieder aufgebaut. An den Stallungen vorbei führt der Rundgang zuerst in den Küchentrakt, der aus etlichen kleinen und großen Koch-, Vorrats- und Vorbereitungsräumen besteht.

Besonders beeindruckt der riesige Grill mit einem etwa drei Meter breiten Grillgestell für Wildschweine oder ähnlich große Jagdbeute. Nach oben laufen Ketten, mit denen der Spieß über ein Kurbelkettenwerk gedreht werden kann. Ein großer Küchenschrank steht vor dem Grillkamin und schirmt die Küche von diesem ab, da es dort bei Betrieb sonst unerträglich heiß geworden wäre. In Höhe von vielleicht acht Metern sind in der Fachwerk- / Glasdecke Fenster eingelassen, die von unten durch einen Drehmechanismus zu öffnen sind. Neueste Technik findet man in diesem Haus, und aufgrund des Brandes hatte Feuerschutz hier hohe Priorität.

Die Innenräume des Westflügels kann man ebenfalls besichtigen, auch sie sind nach den neuesten Maßstäben 1881 gebaut worden. Sie zeigen die Lebensweise einer sehr wohlhabenden Familie mit fortschrittlichen Ideen.

Kinderzimmer

Wie beim Besitz des National Trust offenbar ab und zu üblich, wird der Fortgang der Restaurationsarbeiten gezeigt, hier im Mittelteil des Landsitzes. Die Stuckdecke der Galerie, welche gerade restauriert wird, gilt als eine der schönsten in Westengland.

Der Garten in unmittelbarer Umgebung des Hauses besteht aus einigen Büschen und Pflanzen im oberen Bereich, wird aber vor Allem durch einen exakten englischen Rasen mit noch exakter geschnittenen Eiben geprägt.

Eden Projekt

Bei  St. Ausstell wurde 2001 das Eden Projekt in einer ehemaligen Kaolingrube eröffnet. Tim Smit hat die größten Gewächshäuser der Erde und darin eine eigene Welt erschaffen. Auf dem etwa 50 Hektar großen Gelände werden mehr als 100.000 Pflanzen aus über 5000 Arten gezeigt. In die weiten Gärten der Außenanlage sind zwei riesige Kuppelbauten eingebettet. Der etwas kleinere Bau zeigt Pflanzen des Mittelmeerraume, der andere Bau ist ein Regenwaldbiom. Unter diesen Kuppeln gedeihen jahreszeitenunabhängig Weinstöcke, Olivenbäume und andere Mittelmeerpflanzen, und im Regenwaldbiom riesige Palmen, Bananenstauden, Kaffeestauden und viele farbenfrohe Dschungelpflanzen. Das Core- Bildungszentrum ergänzt das beeindruckende Ensemble.

Die Pflanzen, die auf dem Rundweg durch das Mittelmeer- Biom zu sehen sind, sind uns noch vielfach vertraut. Doch auf dem Weg durch das Regenwald-Biom kommen wir aus dem Staunen nicht heraus. Gewaltige Bäume und Pflanzen mit riesigen Blättern und auffallenden, teils gewaltig großen Blüten. Dazu ein Wasserfall, der durch das Biom rauscht, und viele Tafeln, die das Ökosystem beschreiben und die Relevanz für das menschliche Leben immer wieder hervorheben. Einige künstlerische Skulpturen runden das Bild ab.

 

Riesenbambus

Wir lassen es uns nicht nehmen, trotz der schwül-warmen Luft über eine Hängebrücke und viele Treppen bis in die höchste Kuppel zu steigen. Von so weit oben betrachtet wirkt der Bau noch einmal gewaltiger.

Eine besondere Erwähnung verdient das faszinierende Kunstwerk, das den Mittelpunkt des Cores bildet. Die 9 Meter hohe Skulptur „Infinity Blue“ stößt perfekte Ringe aus duftendem Rauch aus – mal einen, mal mehrere gleichzeitig. Dazu ertönt sphärische Musik. Gefühlte Stunden sehen wir zu.

Zum Abschluss unseres 5stündigen Besuches nutzen wir den Aufzug und können von oben auf die Bauwerke hinabblicken. Die Eintrittskarten für stolze 38£ pro Person dürfen wir noch ein ganzes Jahr lang nutzen. Wer weiß, vielleicht kommen wir noch einmal her im Verlauf der nächsten 12 Monate – zu sehen gäbe es noch genug.

Mevagissey

Das nächste Ziel der Reise ist Mevagissey, nicht weit entfernt vom Eden Projekt und in einer recht großen Bucht direkt am Meer gelegen. Am Ortsanfang gibt es einen Parkplatz, auf dem Wohnmobile verhältnismäßig günstig über Nacht stehen dürfen. Am 12. Juni erradeln wir von hier aus die Umgebung: Immer so nah wie möglich an der Küste entlang geht es über Portmellon und Gorran Haven bis zur Porthluney Bay mit dem Caerhays Castle und durch das Landesinnere im Bogen zurück.

Gegen Abend spazieren wir noch einmal durch Mevagissey. Am Hafen gibt es bunte, interessante Geschäfte und gut besuchte Pubs. Das Hochwasser lässt nun – anders als mittags, als diese im Schlick lagen – die Fischerboote aufschwimmen.

Anderntags, am 13. Juni, regnet es zum ersten Mal seit wir in England sind nicht nur kurz und heftig, sondern einen ganzen Tag lang. Dazu stürmt ein kräftiger Wind. Auf dem Campingplatz Pennance Mill Farm verbringen wir die Regenstunden, bis es am nächsten Morgen langsam aufklart. Zeit, weiter zu fahren bis zum Glendurgan Garden, nur wenige Meilen entfernt und im Besitz des National Trust.

Glendurgan wurde in den 1820er Jahren von Alfred und Sarah Fox am Helford River angelegt. Die Mischung aus heimischen mit exotischen Pflanzen, die riesigen alten Bäume und die natürlichen und geplanten Gestaltungselemente wie die hügelige Landschaft, ein Bachlauf und das Kirschlorbeerlabyrinth bietet immer wieder neue Blickperspektiven. Am Ende des Gartens befindet sich der kleine Weiler Durgan, den man durchquert, um wieder zurück zu gelangen.

Auf der Lizard-Halbinsel

Die Lizard Peninsula, nur einige Meilen weiter südlich gelegen, ist das nächste Ziel der Reise und bietet gute Voraussetzungen für einen mehrtägigen Aufenthalt. Der Cadgwith Campingplatzt ist eine riesige Wiese mit zwei gasbetriebenen Duschen im Bretterverschlag und einer Komposttoilette direkt oberhalb der See.

Ein unglaublich freundlicher Besitzer bringt Feuerholz für die abendliche Feuerstelle – und diese Aussicht! Die Standards dieser englischen Naturcampsites lassen sich mit deutschen nicht vergleichen – für mehr als 30£ gibt es auch andere – aber wir haben so alles, was nötig ist.

Von hier aus führt ein Fußpfad direkt auf den South West Coast Path. Es ist der schönste und abwechslungsreichste Wanderweg, den wir bisher kennen lernen durften. Wir laufen die etwa 7 Kilometer bis zum Lizard Point, dem südlichsten Punkt Englands. Wer Raynor Winns Buch „Der Salzpfad“ gelesen hat, wird, wie ich, an jeder Biegung des Pfades an Ausschnitte des Buches erinnert.

Hinter jeder Biegung, nach jedem Auf und Ab ergeben sich neue Blickwinkel – allein die Ausblicke entlang der Küstenlinie sind grandios. Aber auch die Vielfalt und Farbigkeit der Wiesenblumen am Wegesrand – auch hier gibt es keine gemähten Wiesen – ist einzigartig. Warum mäht man eigentlich in Deutschland alle Wegesränder und die Wiesen so früh im Jahr?

Zum wiederholten Mal erstaunt uns, dass es in England Eis für Hunde gibt! Die Engländer lieben ihre Hunde, man sieht kaum ein Paar ohne einen oder zwei Hunde. Wenn der Mensch ein Eis schleckt, soll der Hund nicht zuschauen müssen.

Die Buchten an der Westseite der Halbinsel wollen wir tags darauf erkunden, zumal das Radfahren wegen weniger steiler Hügel hier angenehmer scheint. Allerdings wird diese Tour aufgrund der langen unwegsamen Geländeabschnitte anstrengender als gedacht. Über Sand- und Matschpfade, durch kleine Bäche und große Pfützen, über Reitwege und nicht zu öffnende Gatter und schließlich über einen Militärflugplatz, von dem es zunächst kein Entkommen mehr zu geben scheint, gelangen wir endlich wieder auf befahrbare Wege und besuchen doch noch die Kynance Cove, die Mullion Cove und die Poldhu Cove mit ihren Fischerhäuschen und Booten oder dem Badestrand, auf dem sich badefreudige Engländer*innen tummeln.

Am 17. Juni verabschieden wir uns von der Lizard-Halbinsel und bewegen uns weiter Richtung Westen.

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