1. Februar
Gegen 6.30 Uhr am Morgen kommt Bari in Sicht, und wir können nach einer ruhigen Nacht den ersten italienischen Kaffee – noch auf der Fähre – genießen. Eine halbe Stunde später frischt der Wind auf, und kurz darauf bläst er so stark, dass das Schiff zu rollen beginnt und ich mich lieber auf das offene Sonnendeck begebe, wo ich allerdings fast weggeweht werde. Mit mehreren Begleitbooten wird die Fähre gaaaanz langsam zum Anleger geleitet, und gegen 10 Uhr können wir von Bord fahren. Keine Zoll- oder Grenzkontrollen, keine Impfpasskontrollen – wir fahren zügig aus Bari heraus.
Hier in Italien anzukommen ist für uns wie eine andere Welt zu betreten. Einen solchen Verkehr, solche Massen von Menschen auf Gehwegen und Straßen, solch einen Lärm haben wir seit über drei Monaten nicht erlebt. Autofahrer fahren rücksichtslos und drängeln, Menschen grüßen nicht mehr freundlich, es liegt wieder viel mehr Müll in den Gräben und auf den Wegen – es ist ein Kulturschock, vom ruhigen und friedlichen, wenig besiedelten Peloponnes hierher zu kommen.
Bevor wir uns nach Norden aufmachen, um der Heimat entgegen zu fahren, möchten wir noch das Valle d´Itria, welches im Reiseführer als idyllische Hügellandschaft beschrieben wird, ansehen. Dazu bewegen wir uns noch 50 Kilometer nach Süden, bis Alberobello, der Hauptstadt der Trulli. Hier hat der örtliche Stellplatz geöffnet, und für 20 € je Nacht können wir hier bleiben. Ja, auch teuer ist Italien! Auf dem großen Platz stehen kaum Camper – es ist einfach nicht die richtige Jahreszeit, um Italien zu besuchen. Das spüren wir deutlich: Es bläst ein einkalter Nordwind, und die Temperaturen bewegen sich auch tagsüber nicht über 10 Grad.
Am Nachmittag machen wir einen kleinen Rundgang durch den Ort, der, der Jahreszeit und den Temperaturen entsprechend, ziemlich unbelebt ist. Im Sommer ist es hier sicher sehr voll, aber jetzt ist der weihnachtliche Schmuck ist noch nicht abgeräumt, und ein wenig habe ich das Gefühl, Weihnachten liegt noch vor uns.
Der erste Eindruck vom Ort mit dem Meer aus Trulli, kleinen runden Wohnhäusern mit Steindach, ist überwältigend, und am nächsten Tag besuche ich die Wohnviertel gleich noch einmal, um Fotos zu machen. Alberobello ist die Hauptstadt der Trulli und wurde schon 1996 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Zwei Trulli- Viertel gibt es hier, mit über 1400 dieser kleinen Häuschen. Die Kalksteinmauern sind weiß getüncht und haben ein kegelförmiges Dach aus flachen grauen Steinen. Angeblich wollten die Bewohner früher durch ein „jederzeit schnell abbaubares Haus“ aus Trockensteinmauern und locker zusammengefügten Dachsteinen der Besteuerung durch das Königreich Neapel entgehen.
Meist stehen mehrere Trullo zusammen und bilden eine Wohneinheit, es gibt jedoch auch, gerade in der Stadt, Trulli, in denen auf wenigen Quadratmetern eine ganze Familie zusammen gewohnt hat. Dicke Wände und kleine Fenster isolierten im Winter vor der Kälte und im Sommer vor der Hitze. Ein Kamin mit Kochstelle ist in fast jedem der Häuser vorhanden. Manche Trulli haben Symbole auf dem Dach, die wohl ähnlich wie Hausnummern der Wiedererkennung dienten.
Nach dem mal wieder nötigen Waschvormittag in der Self-Service-Wäscherei radele ich noch nach Locorotondo, gut 10 Kilometer weiter. Eine hübsche Stadt mit schmalen Gassen.
Auf dem Rückweg über den schönen extra für Fahrräder ausgeschilderten Weg, der nahezu autofrei ist, weht mir ein eisiger Nordwind entgegen.
Ich bin froh, nach dieser kurzen Runde bei dieser Kälte wieder im Wohnmobil anzukommen. Abends wollen wir noch in Alberobello eine richtig leckere italienische Pizza essen. Um ein geöffnetes Restaurant zu finden, klappern wir die ganze Stadt ab – es gibt Unmengen von Pizzerien, und alle sind in der Winterpause. Das Einzige, was geöffnet ist, ist eine Bar, in der es Kleinigkeiten und kalte Platten gibt. Welch Enttäuschung!
Am 3. Februar fahren wir weiter in Richtung Heimat. Es ist so kalt in Süditalien, dass man sich gar nicht draußen aufhalten möchte, dazu weht noch immer eisiger Nordwind. Unser nächstes Ziel ist Castel del Monte, doch vorher geht es über holprige, teils mit tiefen Löchern versehene Landstraßen nach Gravina in Puglia. Gut, dass Biene eine Wattiefe von 80cm hat, denn die Löcher sind voller Regenwasser.
Gravina in Puglia liegt in der Murgia, dem Kernland Apuliens. Die Stadt ist nach der Schlucht benannt, oberhalb derer sie liegt, und in dieser Schlucht sieht man auch heute noch die Wohnhöhlen der Bewohner früherer Zeiten. Das ganze Gebiet inclusive der Wohnhöhlen gegenüber der Stadt ist der archäologische Park „padre eterno“. Wenn man durch dieses Felsengebiet läuft, sieht man auf Schritt und Tritt in den Stein gehauene viereckige senkrechte Löcher und anderweitig behauene Steine, deren Bedeutung allerdings für uns im Unklaren bleibt. Auch in die Wohnhöhlen der ehemaligen Bewohner kann man hineinschauen.
Vom archäologischen Park aus kommt man zunächst an einer Felsenkirche vorbei und überquert dann die römische Brücke, die Ponte Viadotto, um in die Stadt zu gelangen.
Beim Gang durch die Altstadt laufe ich durch typisch italienische schmale Straßen mit 3-4stöckigen alten Häusern. Die Basilica Cattedrale Santa Maria Assunta, die Hauptkirche von Gravina, überstrahlt alles.
Am Nachmittag fahren wir durch den Nationalpark Alto del Murcia bis zum Castel del Monte. Die Suche nach einem Parkplatz stellt sich bald als unergiebig heraus: Der große Hauptparkplatz ist verriegelt, die Straße zur Burg gesperrt. Winterzeit ist wohl keine Touristenzeit…
Wir finden einen Waldweg, auf dem wir Biene für die Nacht abstellen und außerdem nur wenige hundert Meter den Berg zum Castel hochlaufen müssen.
Das Castel del Monte ist das wohl bekannteste Bauwerk aus der Zeit des Stauferkaisers Friedrich II, der in Apulien mehrere Schlösser errrichten ließ. Dieses Schloss ist um 1250 erbaut, aber anscheinend nicht beendet worden. Es beeindruckt uns schon beim ersten Anblick und dem ersten Gang rundherum mit seiner klaren Form. Sein Grundriss ist achteckig, an jeder der Ecken befindet sich ein Turm mit ebenfalls achteckigem Grundriss. In der Mitte des Baus liegt ein achteckiger Innenhof.
Über die Funktion der Burg ist in der Forschung viel gerätselt worden, aber man hat bisher nicht herausgefunden, zu welchem Zweck das Castel genau so gebaut wurde. Am und um den Bau herum existieren keine Einrichtungen, die auf die Verwendung als Festung schließen lassen. Der Innenhof und die Innenräume sind spärlich geschmückt, die Räume mit Kaminen versehen und es gibt mehrere Sanitärräume. Interessant sehen die mit Korallen- Brecchia farbig eingefassten Fenster und Durchgänge aus.
Auch die Säulen bestehen aus farbiger Korallen- Brecchia, im ersten Stockwerk aus farbigem Marmor.
Lange halten wir uns im Castel auf, gehen von Zimmer zu Zimmer rundum, schauen von den Bänken an den Fenstern in die Landschaft und sind vollkommen beeindruckt von der Schlichtheit und Schönheit in Form und Farbe.
Am folgenden Tag setzen wir unsere Reise durch Italien fort und spüren: Dies ist momentan nicht unser Land. Vielleicht sind wir durch die Landschaften und die Einsamkeit des Peloponnes verwöhnt. Hier gefällt es uns nicht: Die Gegend entlang der Ostküste ist extrem dicht besiedelt, Haus steht an Haus und Dorf an Stadt, oftmals keine Bauten, die sich in die Landschaft einfügen, sondern hohe, schmuddelig wirkende Häuser. Entsprechend dicht ist der Verkehr – und nicht zuletzt sind die Straßen deutlich kaputter als in Griechenland.
Sicher gibt es in Italien schöne hügelige und auch einsamere Gegenden, aber da die Temperaturen nicht über 10 Grad steigen und dazu ein sehr starker Wind weht, haben wir keine Lust, ohne Fahrrad fahren zu können danach zu suchen und länger hier zu verweilen. Wir wechseln auf die Autobahn und beschließen, sehr viel weiter nach Norden zu fahren – dort ist es laut Wetterverhersage auch nicht kälter als im Süden.
Viel schneller als geplant sind wir am Gardasee. In Sirmione suchen wir den einzigen geöffneten Stellplatz auf und werden dort wegen Überfüllung zu einem Platz direkt neben der Autobahn geschickt. Es ist fast unvorstellbar: An diesem frühen Februar- Samstag ist in Sirmione und Pesciera del Garda kein freies Übernachtungsplätzchen mehr zu finden! Es sind nahezu ausschließlich italienische Wohnmobile, in denen Familien hier das Wochenende verbringen.
Nein, wir wollen nicht an der Autobahn stehen und fahren noch die gut 70 Kilometer nach Torbole ans Nordufer des Sees. Hier gibt es auf dem Stellplatz noch einige wenige freie Übernachtungsplätze, die sich nach unserer Ankunft auch noch füllen.
An diesem Samstagabend versuchen wir unser Glück noch einmal: Wenn so viele Touristen da sind, muss es doch eine geöffnete Pizzeria geben?! Weit gefehlt! Lediglich eine Döner- Kebap- Bude hat geöffnet, alle Restaurants sind geschlossen. Offenbar kochen alle Wochenendgäste selbst.
Am nächsten Morgen ist es sonnig, aber -2 Grad und windig. Kein Radfahrwetter, und da für morgen Schneefall in den Alpen bis nördlich von München angekündigt wird, entschließen wir uns nun, heute möglichst weit Richtung Heimat zu fahren, im Schnee wollen wir nicht stecken bleiben.
Der Rest ist schnell erzählt: In zwei Etappen fahren wir nach Hause, waschen Biene noch schnell den Reiseschmutz ab und entkommen Schnee und Regen bis fast vor die Haustür, wo uns Sturm und Regengüsse empfangen.
Jetzt werden wir erstmal mit der Verarbeitung all der Reiseeindrücke zu tun haben, mit den Besuchen bei allen Daheimgebliebenen, dem Ausräumen und Innenputz unserer Biene…
und irgendwann in diesem Jahr geht es wieder los!